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Ich wurde auf der Piazza Dante am 20. Juli um 14 Uhr von einer Truppe bewaffneter,
vermummter und mit Schildern geschützter Männer verhaftet. Sie
haben mich von der Demonstration weggebracht, abseits der Blicke und der
Medien, die es auf der Piazza Dante gegeben hatte. Dort übergaben sie
mich einem Dutzend Männer in Zivil, die mich aufforderten, in einen
zivilen Wagen einzusteigen. Angesichts ihrer Zahl, der verbalen Gewalt und
der offensichtlichen Aggressivität, die von ihnen ausging, legte ich
mich auf den Boden und verlangte nach einer französisch sprechenden
Person, einem Anwalt, und nach ihren Ausweispapieren.
Die ersten Schläge fielen, sie pressten meinen Kopf auf den Boden und
legten mir auf dem Rücken Handschellen an, während sie mich mit
den Stiefeln traten.
In dieser Position hielten sie mich während etwa einer halben Stunde
fest. Ich hörte sie schreien : « niente fotos !, niente fotos
! ». Sie durchsuchten mich und leerten den Inhalt meiner Taschen auf
die Strasse. Plötzlich zogen sie mich hoch und forderten mich auf,
einzusteigen. Ich verlangte, dass sie die Handschellen abnahmen, dass sie
mir erklärten worum es ginge, dass sie mir eine schriftliche Begründung
gaben dafür, dass ich ihnen gehorchen müsse. Sie hoben mich zu
fünft gewaltsam hoch und setzten mich in den Wagen. Ich wehrte mich,
schrie, rief um Hilfe und hielt mich an einem Verkehrsschild fest. Ein Mann
in Zivil ist gekommen. Zwischen ihnen begann eine Diskussion auf italienisch.
Es dauerte. Plötzlich fuhr der Wagen los, ein gepanzerter Polizeibus
mit einer Zelle nahm seinen Platz ein. Eine Polizistin (in Uniform) stieg
aus, die 5 Männer nahmen mich wieder in den Polizeigriff, und die Frau
schlug mich mit aller Kraft ins Gesicht. Trotz meiner Benommenheit versuchte
ich mich zu wehren und um Hilfe zu rufen, vergeblich.
Der Transfer erfolgte in einem Polizeiwagen mit gepanzerter Zelle aus Plexiglas
mit einer glatten Plastikbank, auf der man sich in den Kurven nicht festhalten
konnte. Vorne ein Polizist (in Uniform) und neben ihm die Polizistin, die
mich geschlagen hatte. Meine Hände waren im Rücken mit Handschellen
gefesselt und das Fahrzeug fuhr rasend schnell, ich sah 140 auf der Geschwindigkeitsskala.
Bei jeder Bremsung oder Kurve wurde ich hart von einer Ecke der Zelle in
die andere geschleudert.
Das Auto stoppte einige Augenblicke an einer Barrikade von Lastwagen und
anderen Militär- oder Polizeifahrzeugen. Die Polizistin stieg aus,
um zu diskutieren, der Mann kam zu mir und fragte: « va bene ? »
Ich deutete an, dass ich keine Luft bekam, er zeigte auf meine Füsse.
Dann fuhren wir weiter.
Das Fahrzeug fuhr aus der Stadt hinaus auf eine Autobahn, an einer Zahlstelle
vorbei.
Das Auto hält vor einer Gebäudegruppe an. Im Hof befinden sich
etwa vierzig Militärs (?), in khakifarbene Uniformen gekleidet, mit
schwarzen Stiefeln, schwarzen Handschuhen, kugelsicheren Westen, Knüppeln,
Waffen, und an den Hosen befestigten Handschellen. Sie ziehen mich gewaltsam
aus dem Fahrzeug und werfen mich in das erste Gebäude zur Linken.
In das Gebäude gelangt man über einige Treppenstufen, oben gibt
es eine ziemlich grosse Eingangshalle mit einem Büro zur rechten und
einem Büro zur linken. Geradeaus ein langer, ca. 2m breiter Korridor
mit Türen zu beiden Seiten und dann Gitterzellen. Ich werde in die
zweite Zelle auf der rechten Seite geführt. Beim Durchqueren des Gebäudes
bemerke ich, dass es keine anderen Gefangenen gibt, und es ist ziemlich
ruhig.
Ich erinnere mich, dass ich gedacht habe, ich sei die einzige, die verhaftet
worden sei. Doch in der Zelle sehe ich ein junges Mädchen von etwa
zwanzig Jahren, es steht an der Wand, die Beine auseinander, das Gesicht
zur Wand, und weint.
Die Polizistin (in khaki-Uniform), die das Gitter überwachte, drehte
ihren Schlüssel im Schloss und bedeutete mir, mich in die gleiche Position
zu begeben. Ich stellte mir noch nicht vor, was einige Minuten später
geschehen würde, und voller Mut antwortete ich, das sei ein Witz, wir
seine nicht im Mittelalter, und setzte mich im Schneidersitz mitten in die
Zelle.
Die Polizistin zuckte die Schultern und drehte mir den Rücken zu.
Ich wandte mich zu dem jungen Mädchen und fragte, ob sie Französin
sei. Sie sagte, sie sei Deutsche. Ich erklärte ihr auf englisch, dass
sie diese Demütigung nicht akzeptieren müsse und dass sie sich
setzen könne. Sie schien traumatisiert und sagte mir unter Tränen,
dass sie nur eines wolle : gehorchen, damit das aufhöre und sie hier
so schnell wie möglich weg komme.
Dann holte man mich für eine erste Einvernahme. Im Korridor gab es
schon ein wenig Lärm und draussen hörte man die Sirenen. Man empfing
mich im ersten Büro auf der rechten Seite, vom Eingang her gesehen.
Ein Mann schien der Chef zu sein, um die vierzig Jahre, ein wenig kleiner
als ich, in Zivil, ein wenig rundlich, runder Kopf, kahl, blaue Augen. Er
sprach französisch mit mir. Er übersetzte mir die Fragen, die
mir ein braungebrannter Mann vom Bürotisch aus stellte.
Name, Vorname, Alter, Name der Eltern, Beruf, usw. Mein Pass lag geöffnet
auf dem Schreibtisch. Er war mir auf der Piazza Dante aus der Jeanstasche
genommen worden. Ich antwortete auf alle Fragen, die mit meinem Zivilstand
zu tun hatten, und als sie begannen, mich über meine Teilnahme an der
Demonstration auszufragen, verlangte ich einen Anwalt, verlangte, man solle
Attac benachrichtigen, und das Konsulat.
Der runde kahle Mann ging sichtlich verärgert aus dem Büro, und
der braungebrannte hielt mir ein Bündel Papier entgegen und forderte
mich auf, zu schreiben, was ich ihnen gesagt hatte, also Namen, Vornamen,
Beruf, usw. und unten auf jeder Seite zu unterschreiben.
Es gab Texte auf italienisch auf jeder Seite und unterpunktete ausgelassene
Stellen. Ich sagte : « Ich verstehe kein italienisch, ich will einen
Anwalt, ich unterschreibe nicht. » Er ging hinaus, ebenfalls sehr
wütend, und der kahle Mann kam einige Sekunden später herein.
(Im Büro waren immer zwei oder drei Militärs anwesend).
Er setzte sich mir gegenüber, auf den Schreibtisch, und sagte, Auge
in Auge mit mir. « Hör zu, im Moment haben wir dir nichts vorzuwerfen.
Diese Papiere, das ist das normale Verfahren, da steht, was du getan hast,
wo du erwischt worden bist, und die üblichen Texte... Wenn du unterschreibst,
bist du heute abend zuhause. »
Ich antwortete : «Ich will einen Anwalt, ich werde nicht unterschreiben
». Er ging hinaus. Die Militärs haben mich heftig gepackt und
haben mich in die Zelle zurückgeschleppt und hineingeworfen ».
In der Zelle war immer noch das junge deutsche Mädchen, mit ausgestreckten
Armen gegen die Wand stehend. Eine zweite Deutsche kam kurz darauf zu uns.
Einige Minuten später hallte es in der Kaserne von Schreien und Lärm
wider, draussen hörte man Polizei- oder Krankenwagensirenen. Ich sah
die ersten zwei oder drei blutenden Gefangenen vor meiner Zelle. Dann verstärkten
sich die Schreie, die Gefangenen, Mädchen und Jungen, alle sehr jung,
kamen zahlreich an. Die Militärs zwangen sie, sich mit auseinandergespreizten
Beinen und dem Gesicht gegen die Wand aufzustellen, ob sie nun verletzt
waren oder nicht... Sie begannen sie mit einer extremen Gewalt mit ihren
Stiefeln in die Beine zu treten, in die Genitalien, den Rücken, die
Seite. Sie schlugen sie mit den Helmen auf den Hinterkopf, und die Gesichter
der Gefangenen schlugen gegen die Wand. In diesem Moment kam ein Militär
in meine Zelle und schleuderte mich gegen die Wand. Er zwang mich, mich
mit dem Gesicht gegen die Wand aufzustellen und befahl mir, mich nicht mehr
zu bewegen.
Da erhob sich ein schrecklicher Lärm : Der Korridor hallte von Schmerzensschreien
wider, von Rufen und von Flüchen der Militärs. Die Geräusche
von Schlägen und von brechenden Knochen waren unerträglich, und
ich schaute trotz der Drohungen gegen den Korridor, um zu sehen und zu wissen...
Die Militärs schlugen gegen das Gitter, als sie das sahen, aber sie
hatten « Besseres zu tun ».
Einige der Gefangenen fielen im Korridor zu Boden, und da hagelte es Stiefeltritte....
Ich merkte, dass sich die Militärs vor allem auf die bereits vorhandenen
Wunden und Spuren von Schlägen konzentrierten....
Ein junges Mädchen mit einer offenen Wunde an der Stirne erhielt wiederholt
Faustschläge auf die Wunde...
Als sie mich zum zweiten Verhör mitnahmen, sah ich in der Eingangshalle
mehrere Dutzend Körper am Boden, die in Blutlachen lagen....Ich glaubte
in diesem Moment, dass einige von ihnen tot waren....Von draussen hörte
ich immer noch Sirenen....Von diesem Moment an erfolgten alle Wege zu den
Verhören unter Stiefeltritten, Knüppelschlägen und Beschimpfungen.....
Hin und zurück wurde ich auf den Boden geworfen, gewaltsam an Kleidern
und Haaren wieder aufgerissen, ich bekam Schläge mit der flachen Hand
auf den Hinterkopf und ins Gesicht, ich wurde beschimpft.... Meine Zelle
füllte sich mit Jungen und Mädchen, von denen einige sehr verunstaltet
waren...Offene Wunden, von Blutergüssen zugeschwollene Augen, aufgeplatzte
Münder....die ersten, die auf die Toilette gehen wollten, wurden auch
geschlagen auf dem Weg dahin...man hörte ihre Schreie und Klagen.
Als ich selbst auf die Toilette gehen wollte, sagte mir eine Mitgefangene,
ich solle dann die Hände waschen sie selber habe es vergessen
und das sei ein Vorwand gewesen, um sie unter Beschimpfungen zu schlagen.
Viele Gefangene urinierten diskret in die Zelle...Bis spät in der Nacht
und vielleicht bis in den frühen Morgen hinein wiederholten sich die
beschriebenen Szenen, die Gefangenen wurden systematisch gedemütigt
und geschlagen bevor sie in die Zelle geschickt wurden oder bewusstlos in
die Eingangshalle geschleppt wurden. Es wurde keine medizinische Versorgung
gewährt, auch denen nicht, die sich sichtlich in Lebensgefahr befanden...
Ich sah einen jungen Mann in Krämpfen, das Blut lief aus seinen Ohren
oder aus seinem Schädel. Er hatte weissen Schaum vor dem Mund und er
hatte die verdrehte Augen. Man liess ihn am Boden liegen, ich habe ihn während
meinen Transfers mehrmals gesehen, immer am selben Ort und leblos...
Ich gebe hier eine Liste der Beleidigungen der Militärs, die ich verstanden
habe : « communisti. Integristi, rossi, porchi, cani ».
Unter den Militärs gab es Männer und einige Frauen. Die Männer
waren aktiver gewalttätig, doch die Frauen nahmen aktiv teil, lachten
die ganze Zeit, und waren von einer sehr grossen Härte. Keine Spur
von Mitgefühl oder der Schatten eines Trostes zeigte sich, und keineR
machte Anstalten, dazwischen zu gehen, in keinem Moment, weder von den Militärs
noch von anderem Kasernenpersonal. Alle waren von einer Art Gewalthysterie
eingenommen.
In den weiteren Verhören, denen ich unterworfen war, vielleicht 4 in
der Nacht, forderten die Militärs von mir, die besagten italienische
Formulare mit den vielen Leerstellen zu unterschreiben. Ich weigerte mich
immer noch, zu unterschreiben, und sie schrieben auf jedes Blatt «
si rifiuta ». Bei einem der Verhöre zeigte mir ein Polizist die
Fotografie meiner Kinder auf dem Pass und in seinem französisch sagte
er mir : « cest dommage, la mamma en prison si no firma tu ne
veux plus voir tes enfants ? (schade, die Mama bleibt im Gefängnis
wenn sie nicht unterschreibt willst du deine Kinder nicht wiedersehen?).
Ich sagte, ich bliebe lieber im Gefängnis als etwas zu unterschreiben,
was ich nicht verstünde. Er sagte mir, dass ich nicht reif dafür
sei, aus dem Gefängnis zu kommen, und dass man in Italien die «
Integristen » so behandle.
Beim letzten Verhör eröffnete mir der « dicke Kahle »,
dass er mich angesichts meiner Weigerung, zu unterschreiben, in Haft setzen
und mich den Gefängnisbehörden ausliefern würde.
Das nächste Verhör fand mit den Polizisten des Gefängnisses
statt (ihre Uniform war leicht anders). Es gab eine Polizistin, die ein
wenig französisch sprach ; sie versuchte, mir die Fragen eines Polizisten
zu übersetzen. Auch hier sollten italienisch geschriebene Formulare
unterschrieben werden. Angesichts meiner Weigerung wurden die Polizisten
wütend, machten mir klar, dass ich jetzt eine Gefangene sei und in
Haft sei.
Ich hatte einen Zusammenbruch, ich warf mich zu Boden und sagte, ich wolle,
dass man meine Familie benachrichtige, einen Anwalt,....Doch ich habe nichts
unterschrieben.
Zurück in der Zelle, immer noch stehen, immer noch die Schreie, das
Geräusch der Schläge...
Einmal wurde ich in Handschellen gelegt und in einen anderen Teil des Gebäudes
gebracht für eine « ärztliche Visite ».
Sie liessen mich in ein möbliertes Zimmer mit einem Divan, der mit
einem Papiertuch bedeckt war, einem Tisch und einigen Stühlen...Ich
bemerkte eine Personenwaage. Es gab 3 Frauen, darunter die Polizistin, die
ein wenig französisch sprach, eine Fraue mit weisser Bluse, und ungefähr
10 Männer in Uniform, die kamen und gingen, aus dem Raum hinaus und
herein. Ein Stück Decke war in der Mitte des Raumes auf dem Boden.
Sie sagten mir, ich solle mich darauf legen und mich ganz ausziehen. Es
waren noch immer Männer in dem Raum. Ich sagte zur « Übersetzerin
», sie sollten weggehen. Sie übersetzte dies; einer von ihnen
stand auf und begann zu schreien, aggressiv und wütend. Die «
Übersetzerin » sagte, es gäbe hier nur Ärzte und Krankenpfleger
und ich solle mich besser schnell ausziehen...Ich tat es. Nicht schnell
genug für ihren Geschmack. Sie sagten mir erneut, ich solle mich beeilen...
Die Polizistin nahm mir die Kleider nach und nach weg und schüttelte
sie aus, bevor sie sie auf den Boden warf. Als ich nackt war und versuchte,
meine Scham vor ihnen zu schützen, zwang die Polizistin meine Beine
auseinander indem sie mir zwei harte Fusstritte ans Knie versetzte und sagte
mir, dass ich meine Arme waagrecht vor mich hinlegen solle. Sie fordert
mich dreimal auf, mich hinzukauern. Dann drehte sie mich um.
Nach langen Minuten gab mir die Polizistin den Slip und ich konnte ihn wieder
anziehen. Man sagte mir dann, ich solle mich auf den Divan legen und die
Frau in der weissen Bluse hat mich abgehört und mir den Blutdruck gemessen.
Sie stellte mir auch Fragen, die von der Polizistin schlecht und recht übersetzt
wurden....Es betraf offenbar meine früheren Krankengeschichten...Ich
verstand, dass man mir sagen wollte, mein Blutdruk sei zu hoch, 17 oder
18.
Auf die zahlreichen Blutergüsse, die ich am Körper hatte, vor
allem auf der Schulter und dem Schenkel von den Knüppelschlägen,
schien sie nicht acht zu geben. Sie fragte mich nie, woher das sei und ob
ich Schmerzen hätte.
Die Männer waren immer noch da, kamen und gingen. Ich bat um ein Medikament
gegen Kopfschmerzen (mein Kopf schmerzte von dem Faustschlag bei meiner
Verhaftung)... Die Frau mit der Bluse sagte der Polizistin einige Worte,
worauf diese mir übersetzte, dass man sich um mich kümmern würde...Ich
wurde in die Zelle zurück gebracht und es ging nicht mehr um Medikamente
oder medizinische Versorgung. Im Gegenteil, die Misshandlungen setzten sich
in der Zelle fort. Ein Militär, der eifriger war als die anderen, wählte
willkürlich einen Gefangenen aus (am ehesten diejenigen mir Tatoos
oder piercings oder dread locks), zog ihn gegen die Gitter und schlug ihn
mit der Hand und trat ihn mit den Stiefeln. Ein anderer schnitt mit einer
Schere die langen Haare der Mädchen und Jungen ab (dreadlocks), und
die Kapuzen der Jacken.
Später erfolgte ein weiterer Transfer in Handschellen in das Gebäude
zur erkennungsdienstlichen Behandlungen (Fingerabdrücke und Fotos).
Der Beamte, der diese Formalitäten zu erfüllen hatte, war schlechter
Laune und schien dem Polizisten seine Arbeitsüberlastung vorzuwerfen.
Am Ende der Nacht waren es die Polizisten müde, uns aufrecht stehen
zu lassen, denn viele von uns waren vor Schmerzen und Erschöpfung umgefallen.
Schliesslich kauerten wir uns alle mit dem Rücken zur Wand auf den
Boden und schmiegten uns aneinander. Wir zitterten vor Kälte und Angst.
In meiner Zelle waren wir am Ende der Nacht zwei Frauen, eine Amerikanerin,
Tereza, und ich, und 8 Jungen. Ich erinnere mich besonders an einen unter
ihnen, der sehr mager war und still weinte. Plötzlich kamen etwa zwanzig
Militärs in die Zelle. Sie schlugen uns, und ketteten uns mit Handschellen
zu zweit aneinander. Tereza und mich zusammen....
Es regnete wieder Schläge. Wir wurden aus der Zelle in den Korridor
geworfen. Sie nahmen sich vor allem die Jungen vor. ..Der Lärm von
heftigen Schlägen und unerträglichen Schreien hallte einmal mehr
wider, dann brachten sie uns in einen Militärtransporter. Auf dem Weg,
in der Halle, sah ich erneut denselben leblosen Körper, den ich am
Nachmittag gesehen hatte...er hatte sich nicht bewegt....
Es war schwarze Nacht, als wir den Hof in Richtung des Militärtransporters
durchquerten. Im Innern gab es drei vergitterte Zellen. Einmal drin, zu
zweien (ich war mit Tereza), sahen wir die anderen Gefangenen (4 Jungen)
nicht mehr, wir hörten sie nur. In diesem Transporter, mitten auf dem
Kasernenhof, der voll war von aufgeputschten Militärs, blieben wir
eine Ewigkeit. Ich erinnere mich, dass ich zwei oder drei mal eingeschlafen
bin, und jedes mal durch Knüppelschläge an das Gitter geweckt
wurde, während wir mit Handschellen gefesselt und in der Zelle eingesperrt
waren. Jedesmal wenn Tereza und ich aneinandergelehnt einschliefen, weckte
uns ein Militär mit lauten Schlägen an das Gitter.
Durch die offene Tür des Transporters sah ich, dass die Krankenwagen
immer noch ihre Runden drehten.
Wir hatten keine Erklärung. Wir hatten Hunger, Durst, wir waren durchfroren
und hatten Angst.
Da waren wir wieder in der Hand der Militärs, der « Schläger
». Ich bemerkte eine Frau, korpulent, dreissig Jahre, blond, viereckig
geschnittene Frisur, die den ganzen Abend vor dem Gitter meiner Zelle gestanden
hatte.... sie schien sich besonders wohl zu fühlen in dieser Massakerstimmung
und zögerte nicht, ihre Kollegen anzufeuern...
Neun Militärs, darunter die blonde Frau, stiegen in den Transporter
ein. Ich bemerkte, dass sie sich mit Schildern und Waffen ausrüsteten,
bereit zum Losschiessen, als ob sie einen Überfall auf den Transporter
erwarten würden.
Ich glaube, wir fuhren lange auf der Autobahn. Als wir in einem Gefängnis
ankamen, wurden wir wieder alle sechs, ohne Schonung, durch die Korridore
geschleppt. Es erschien mir wie eine « Auslieferung » an eine
andere Militärtruppe....Sie trennten uns von den Jungen, befreiten
uns von den Handschellen und steckten uns in eine winzige Zelle mit Toiletten...Die
Türe hatte sich kaum geschlossen, da fingen die Schreie, der Lärm
der Schläge, die Beschimpfungen für etwa 15 Minuten wieder an.
Da kamen Chiara und Ariana, zwei ItalienerInnen, in unsere Zelle. Ihre Augen
waren verdreht, Chiara zitterte vor Kälte...Wir schmiegten uns aneinander.
Sehr bald wurden wir wieder in Handschellen gelegt und in einem anderen
Transporter weggebracht ; die Jungen haben wir nie mehr wieder gesehen.
Als wir im Gefängnis Alessandria ankamen, war der Tag kaum angebrochen.
Wir wurden in eine Zelle ohne Toilette gesperrt, mit einem Absatz aus
Beton von 10cm, auf den man sich unmöglich setzen konnte. Das grosse
vergitterte Fenster ohne Scheibe war direkt an der Aussenwand.
Der Morgen war wahrscheinlich kühl, oder vielleicht war es der Schockzustand,
jedenfalls war uns schrecklich kalt....Jetzt bemerkte ich, in welchem
Zustand Tereza war. Ihr Rücken war eine einzige Wunde. Striemen,
Blutergüsse, Blutgerinnsel über und über. Es gab keinen
Zentimeter heile Haut zwischen ihren Oberschenkeln und den Schultern.
Ich erinnerte mich jetzt, dass Tereza während dem Transport wo immer
möglich nicht mit dem Rücken anlehnte (sie hatte den Kopf auf
die Knie gelegt).
Chiara war vor allem auf den Seiten und an den Beinen verletzt. Ariana
schien weniger körperlich getroffen, doch ihr Gesicht war vor Angst
entstellt.
Während des Morgens wurden weitere Frauen in unsere Zelle gebracht,
zum Schluss waren wir 9. Ester ist Italienerin, doch sie spricht französisch.
Auch sie ist mit Wunden und Blutergüssen übersät. Bei jeder
neuen Ankunft einer Gefangenen baten wir die Wärter um etwas zu Trinken
oder auf die Toilette gehen zu können.
Nach einer langen Wartezeit, zwischen 20 und 40 Minuten, erlaubten sie
uns auf die Toilette zu gehen, eine nach der anderen. Endlich bin ich
an der Reihe. Es gab einen Wasserhahn auf dem WC und ich konnte trinken.
Am frühen Nachmittag wurden wir eine nach der anderen mitgenommen
für die Formalitäten und Durchsuchungen, doch dieses mal nur
in Gegenwart von zwei Frauen. In einem ersten Büro wurde das Inventar
meiner Sachen aufgenommen ; einige waren mitgekommen, Führerausweis,
Brille andere waren verschwunden, beispielsweise die Interviews
mit Aguitton, José Bové und die Zeitungen, die ich gekauft
hatte und die mir angeblich dazu gedient hätten, mich über die
Demonstration zu informieren. ( !).
Bei der ärztlichen Visite fand der Doktor, ein Mann um die fünfzig,
wiederum meinen Blutdruck zu hoch, und bot mir 1 Schlaftablette an. Ich
lehnte ab. Er fragte, ob ich verletzt sei, aber er hörte mich weder
ab, noch untersuchte er mich.
Dann, in einem anderen kleinen Büro, bekam ich einen Kehrichtsack
mit einer Decke, einem Leintuch, einem Teller mit Gabel und einem Gefäss
aus weissem Kunststoff.
Auf meinem Eintrittsformular stand 15H.
Ich wurde dann in ein Büro gebracht, das mir dasjenige des Gefängnisdirektors
zu sein schien. Ich füllte noch Formulare aus (Zivilstand). Ich fragte
erneut nach einem Anwalt und verlangte, dass man meine Familie informiere,
das Konsulat usw. Auf den Anwalt müsse ich warten, es sei Sonntag.
Für die Familie musste ich meine Nummer auf ein Stück Papier
schreiben und der Direktor versicherte mir, dass er sich persönlich
innerhalb der nächsten Stunde darum kümmern würde.
Er garantierte mir auch, dass ich meinen Anwalt am nächsten Morgen
sehen könne, dass ich mit meinen Kindern telefonieren könne.
Er fügte hinzu, dass im Moment das wichtigste sei, dass ich schlafe.
Schliesslich wurde ich in meine Gefängniszelle zurück gebracht,
zusammen mit Chiara und Diana : eine Zelle mit 3 Metallbetten, mit einem
Hahn aus dem ein Rinnsal Wasser rann, und ein « chemisches »
WC. Ich machte mein Bett, streckte mich aus ; die Gedanken, das Warten,
das Dauerlicht, die Rufe im Hof, die Angst, der Hunger.....es war unmöglich
zu schlafen.
Es musste ungefähr 16 Uhr sein. Diana weinte unaufhörlich, sie
war sehr fragil, Chiara schien solider zu sein, doch ich sah schnell viele
Schäden an ihrem Körper ; wieder die vielen langgestreckten
schwarzen Spuren der Knüppel und die Blutergüsse.
Wir begannen uns zu trösten, unsere Wunden zu verbinden, uns zu massieren.
Die Haftbedingungen waren « normal » obwohl sich die Wärter
ein kleines psychologisches Spiel daraus machten ; sie versprachen Besuche
von Anwälten, sagten uns, wir sollten uns bereit machen, um mit unseren
Familien zu telefonieren. Die Freude und Hoffnung liessen uns alle drei
rundherumtanzen, und wir hörten die gleichen Reaktionen in den Nachbarzellen.
Dann wechselte die Schicht der Wärter, und man teilte uns mit, dass
davon nie die Rede war.
Diese Praxis dauerte während der ganzen Zeit in Alessandria an, und
das scheint für die Haft dort normal zu sein...
Unsere erste Mahlzeit wurde uns gegen 18.30 verabreicht, also 30 Stunden
nach meiner Verhaftung.
Man gab uns auch Telegramm-Formulare und sagte uns, dass diejenigen, die
Geld hätten, eine Nachricht schicken könnten und dass sie am
gleichen Abend ankäme. Wir haben es getan.
In der Folge haben wir erfahren, dass vor unserer Freilassung keine einzige
Nachricht übermittelt worden war, kein einziges Telegramm abgeschickt
wurde.
Am Sonntag hatten wir zwei Spaziergänge im Hof des Gefängnisses,
am Morgen und am Nachmittag. Bei unserer ersten Begegnung am Morgen begriffen
wir 9 sehr schnell, dass wir aus der gleichen Hölle kamen und dass
wir während der vorangehenden Nacht das gleiche Schicksal erlitten
hatten. Es war offensichtlich, dass die Schwere der Verletzungen im Zusammenhang
stand mit der äusserlichen Erscheinung : diejenigen, die ein Tatoo
hatten, oder ein Piercing, oder ein schwarzes Kleidungsstück, oder
Dreadlocks, hatten mehr Wunden und Spuren als die anderen.
Vom ersten Treffen an schlug ich vor, dass wir alle möglichst schnell
ein Gedächtnisprotokoll verfassten, um es der ersten Person, die
von aussen kam (Anwalt, Pflegepersonal oder Politiker) mitzugeben.
Wir konnten nur hoffen, dass jemand kam. Wir hatten tatsächlich keine
Ahnung, wieviel Zeit wir im Gefängnis verbringen würden. Ich
sagte ihnen, dass es sehr wichtig sei, dass die Aussenwelt erfahre, was
sich in der Nacht des 20. Juli abgespielt habe. Bereits am Nachmittag
bekam ich diskret 3 Gedächtnisprotokolle zugesteckt.
Wir bekamen zwei Besuche : ein Vertreter der Sozialisten und ein italienischer
Abgeordneter, die versuchten, uns zu beruhigen ohne uns wirklich etwas
zu sagen. Jeder von ihnen war ca. 10 Minuten da. Sehr wenig Nachrichten
von draussen, sehr wenig Informationen über unsere eigene Situation.
Sie benachrichtigten uns vom Tod von Carlo Giuliani.
Sie waren beide eskortiert von Polizisten und Militärs. Wir konnten
nicht erzählen, wie wir behandelt worden waren, oder von unseren
Verletzungen, und wir konnten ihnen die Gedächtnisprotokolle nicht
übergeben, die ich in meinem Slip hatte.
Um 11.30 Uhr gab man uns einen Teller Reis und Gemüse, einen Melonenschnitz
und zusätzlich ein wenig Broccoli, und sagten dazu, dass das alles
sei für heute.
Wir wussten von der ersten Stunde an, dass wir an diesem Tag dem Richter
vorgeführt werden würden und dass wir bestimmt Anwälte
sehen würden. Mehr wussten wir nicht, weder die Zeit, noch den Ort,
noch die Folgen....Am Morgenspaziergang erhielt ich diskret zwei weitere
Gedächtnisprotokolle.
Dann kam das lange Warten.
Man holte uns vielleicht gegen 10 oder 11 Uhr. Kein Frühstück.
Nichts in den Bauch seit 24 Stunden.
Wir wurden in Handschellen gelegt und in einem Gefängniswagen in
eine andere Stadt gebracht, etwa eine Stunde von Alessandria entfernt.
Wir wurden alle zusammen in eine winzige Zelle gesteckt, mit Toilette,
aber ohne Wasser. Wieder warten.
Im Laufe der folgenden Stunden wurden wir eine nach der anderen zu einem
Anwalt gebracht, danach zu einem Richter. Ich glaube, wir haben alle als
erstes beschrieben, was in der Nacht des 20. Juli geschehen war, obwohl
wir für unser Handeln vorgeführt werden sollten. Die Anwälte
rieten uns stark dazu, beim Richter detailliert über diese Geschehnisse
zu berichten.
Ich selbst habe dies sehr diffus und wenig genau getan, weil ich seit
4 Nächten praktisch nicht geschlafen hatte, weil ich erschöpft
war, ausgehungert und vor allem weil der Korridor und das Gebäude
voll waren mit Militärs, die gleich aussahen wie diejenigen, die
uns in der Nacht des 20. Juli geprügelt hatten, und ich vertraute
gar niemandem mehr.
Am Ende teilte man mir mit, ich sei frei.
Ich verstand : « Der Albtraum ist zu Ende ». Als ich aus dem
Büro kam, ging ich ganz naiv in Richtung des Ausgangs. Ein Militär
packte mich und führte mich zur Zelle, ich drehte mich zu meinen
Anwälten um, einer der beiden beruhigte mich, sagte etwas von Verfahren,
von einigen Formalitäten, die noch zu erledigen seien, und dass es
nicht mehr lange dauern würde.
Es musste ca. 14 Uhr sein.
Zurück in die Zelle zu den anderen Mädchen und weitere Stunden
des Wartens.
Einmal wurde die Zellentüre für eine von uns geöffnet und
wir sahen einige zivil gekleidete Männer, mit Aktenkoffer, Krawatte
usw. Alle auf einmal riefen wir um Hilfe, schrien, wir hätten Hunger
und Durst. Eine halbe Stunde später wurde uns eine Kiste voller Käse-Sandwiches
gebracht, und wir konnten eine nach der anderen hinausgehen, um an einem
Wasserhahn zu trinken.
Am Nachmittag wurde die Hälfte von uns, darunter ich selbst, ohne
Handschellen mit einem Bus zum Gefängnis Alessandria gefahren. Wir
wurden wieder in unsere Zellen gesteckt, und man sagte uns, wir sollten
unsere Sachen packen und die Zelle reinigen.
Als wir damit fertig waren, wurden wir in die gleiche Sammelzelle gebracht,
wo wir am Samstag gewesen waren.
Chiara wurde ungeduldig und fragte, bevor sie in die Zelle ging : »Ich
glaubte, wir seine frei, warum schliesst ihr uns noch ein ? ». Der
Polizist sagt, sie solle sich beruhigen, es dauere noch 10 Minuten. Es
musste ungefähr 17 Uhr sein.
Die anderen Mädchen kamen wenig später an. Wir warteten noch
immer in dieser Zelle ohne Toiletten, ohne Wasser, ohne Stühle. Frei.
Gegen 19 Uhr begann sich Chiara zu beunruhigen, denn ihre Freilassung
war an die Bedingung geknüpft, dass sie jeden Tag vor 20 Uhr auf
dem Kommissariat in Genua vorsprach ; ab sofort. Während langen Minuten
rief sie den Beamten. Als er kam, erklärte sie ihm, dass sie den
Zug nach Genua nehmen müsse. Er schien sehr wütend und schrie
auf italienisch während 5 Minuten herum. Chiara schrie zurück.
Ich verstand nur ein paar Worte, sie sprach von Freiheit und von Unschuld,
sie sprach von Recht. Er liess die Gittertüre öffnen und warf
sich auf sie und schlug sie. Er bedrohte sie, das Gesicht ganz nahe an
Chiaras Gesicht und hielt sie dabei am Kragen und drückte sie gegen
die Wand.
Ich verstand, dass es sagte, er sei der Chef hier und dass sie Nichts
sei. Sie richtete sich auf, stolz, und zeigte ihm, dass sie frei war und
keine Angst hatte. Da wich er zurück, schrie Befehle herum, und Polizisten
kamen in die Zelle und legten uns in Handschellen. Wir wurden bis zu unseren
alten Zellen gestossen und eingeschlossen. Ich bin zusammengebrochen und
weinte. Ich hörte auch andere in den Zellen weinen.
Sie haben Chiara einige Minuten später geholt.
Als die Nacht hereinbrach, holten sie uns eine nach der anderen und liessen
uns den bürokratischen Parcours durchlaufen. Rückgabe der persönlichen
Dinge, Unterschreiben der Papiere, usw. In meinen persönlichen Sachen
fehlte mein Geld bis auf einige italienische Centimes, statt dessen war
eine Quittung der Post von Alessandria darin für eine Telegramm im
Wert von ca. 200 Francs, das am selben Tag um 14h abgeschickt worden war.
Es war das Telegramm, mit dem ich meiner Familie mitteilen wollte dass
ich verhaftet worden war, nach einem Anwalt verlangt hatte, und das ich
am Samstag bei meiner Ankunft verfasst hatte.
Als wir entlassen wurden, war es 22 Uhr.
Valérie VIE (August 2001)
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