|
|
- unsere Camper stehen über
Nacht in den Bergen in der Landschaft von Uscio. Wir, 7 Frauen und 3 Männer,
werden von einer Streife der Carabinieri geweckt, die eine "Routinekontrolle"
durchführen. Sie wollen Ausweise sehen und stellen uns Fragen über
unseren Verbleib, Ziele und zum G8-Treffen in Genova. Nach einer halben
Stunde trifft die Verstärkung ein, weitere Carabinieri, sowie zivile
Beamte, die durch ihr grobes und agressives Auftreten auffallen. Die Caravans
werden durchsucht und alle Kleidungsstücke mit der Farbe schwarz werden
auf einen Haufen geworfen, ebenso wie die Werkzeuge aus der im Camper eingebauten
Werkbank und den Werkzeugkästen. Aggressiv und unter Flüchen durchsuchen
die Zivilen zum wiederholten Male die Busse - anschliessend werden wir im
Polizeiconvoi zur Personalienfeststellung nach Recco eskortiert, unter der
Androhung, dass die Beamten auf uns schiessen werden, sollten wir versuchen
zu fliehen. Die Durchsuchungen dauern ca. 3 Stunden.
Auf dem Flur der Polizeiwache in Recco fragen uns die Zivilen erneut, ob
wir in Genova gewesen sind - wir sagen, dass wir:
1. wissen wollen, warum wir festgehalten werden,
2. sofort eine Anwältin anrufen wollen und
3. ohne Anwältin nichts sagen werden
Als unmittelbare Antwort zieht der zivile Polizist A einen federnden Teleskop-Schlagstock
aus seinem Hosenbund und schlägt mit voller Wucht an meinem Kopf vorbei
an die Wand. Er schlägt mir anschliessend mehrmals feste mit der flachen
Hand ins Gesicht und droht uns schreiend, wir sollen sofort reden. Ferner
belehrt uns der Beamte B , dass "wir in Italien sind und wer hier auf
die Fragen nicht antwortet wird geschlagen" sowie dass wir "Scheisse"
wären und "keine Rechte" hätten. Wir werden ins Krankenhaus
gefahren, wo wir von mehreren Personen in weissen Kitteln ohne Angabe einer
Begründung untersucht werden.
Anschliessend werden wir in Handschellen gelegt und zur Carabinieri-Station
nach St. Magaritha gefahren. Wir werden alle 10 in einen Raum gesperrt.
Der zivile B stellt uns in ruhigem Ton in mehr schlechtem als rechtem Englisch
erneut die Fragen zu Genova, sowie, ob wir ein "black block" seien...wir
antworten darauf mit 1., 2. und 3. - worauf hin der Zivile A Schläge
und Tritte verteilt, er trifft mich und mindestens noch C.D. - oft ist es
mir nicht möglich, zu sehen, was um mich herum vor sich geht, weil
ich durch die Schläge und den daraus resultierenden Schrecken und Schmerzen
des öfteren den Überblick für Momente verliere. Ausser den
Zivilen sind immer mindestens 3, 4, 5 Männer in Carabinieri-Uniformen
anwesend, die sich, bis auf Lachen und drohen meistens passiv verhalten.
Der Zivile B stellt erneut seine Fragen, und deutet auf seinen Kollegen
A, der demonstrativ und drohend einen schwarzen Schlagstock aus Hartplastik
in den Händen hält. Polizist B weist darauf hin das wir besser
reden sollen, sie wüssten auch schon, dass wir ein "black block"
sind und wir könnten es ruhig zugeben. Wir betonen 1., 2. und 3. Plötzlich
und unvermittelt schlägt der Polizist A mit dem Schlagstock auf mich
ein. Er trifft meinen Kopf mittig mit starker Kraft, er trifft mich auch
an anderen Körperteilen, wie auf dem Rücken, Bauch, er schlägt
mir in die Nieren und auf die Beine. Solche Prügelmomente wiederholen
sich in den nächsten Stunden mehrmals. Ich beobachte, wie Polizist
A auf M. U. einschlägt, und sie mitten ins Gesicht tritt, ich beobachte,
wie Polizist A auf C.D. mehrmals heftig einschlägt, und wie er A.W.
die Brille aus dem Gesicht reisst und ihr mit dem Schlagstock aufs Bein
prügelt. Ich selbst werde aus dem Raum in die erste Etage geführt,
nachdem ich von Polizist A so doll mit dem Stock vor die Brust geschlagen
worden bin, dass mir für einen Moment der Atem wegbleibt. Nach der
erkennungsdienstlichen Behandlung werde ich zurückgebracht, wo ich
Zeuge werde, wie Polizist A einige der Frauen sexistisch mit dem Stock bedroht.
In der ersten Etage bedroht mich der Beamte A mit dem in meinem Camper beschlagnahmten
Hammer, indem er ihn mir vor die Lippen presst und andeutet, mir die Zähne
auszuschlagen, ebenso drückt er die spitze Seite des Hammers vor meine
Kniescheibe und brüllt mich in einer mir unverständlichen Sprache
an. Er hat dabei die ganze Zeit einen glühenden Zigarello im Mund und
schwarze Lederhandschuhe an. Diese Handschuhe trägt er auch, als er
mich einhändig würgt. Das wenige, was ich verstehe, sind neben
wüsten Beschimpfungen die Fragen nach dem G8-Gipfel und dass ich sagen
soll, dass ich "Genova destroy" hätte, und dass ich das unterschreiben
solle. Meine Hände sind die ganze Zeit auf den Rücken gefesselt,
die Handschellen sitzen so eng, dass mir die Hände taub werden und
die Fingerspitzen noch Tage später kribbeln.
werden K.E., H.S. und ich ins
Männergefängnis Marassi in Genova überführt. Zu diesem
Zeitpunkt schmerzt mein Kopf pochend und dröhnend, und mein Körper
tut an drei Stellen beängstigend weh, vor allem meine Brust beim Atmen
und mein rechter Ellenbogenknochen, den ein Schlag getroffen hat.
Die 40 km. nach Genova-Marassi erlebe ich in einem non-stop-Angst-Zustand,
weil der Streifenwagen die Serpentinenstrecke statt mit den vorgeschriebenen
40 km/h, mit glatten 160 km/h (!) und lebensgefährlichen Überholmanövern
zurücklegen.
erreichen wir das Gefängnis
Marassi. Auf dem Hof werden wir aus den Autos geleitet, vorbei an einer
ca. 20-köpfigen Gruppe Gefängnisangestellter, denen Polizist A
uns als "black block" vorstellt. Wir müssen nun ein Spalier
aus uns beschimpfenden und vereinzelt tretenden Polizisten und Wärtern
passieren, bis wir schliesslich in einem Verwaltungsbüro ankommen,
welches "Ufficio Matricola" genannt wird. Erneut werden Fingerabdrücke
genommen und Fotos gemacht. Der Umgangston ist rau und aggressiv, z.B. werden
mir mehrmals Schläge angedeutet, obwohl ich nicht den geringsten Widerstand
gegen die ED-Massnahmen leiste. Ich werde in eine dreckige Wartezelle gesperrt,
durch deren Tür ich erkennen kann, wie K.E. unter lauten Beschimpfungen
und Fusstritten über den Flur getrieben wird. Nach ca. 20 min. werde
ich in einen Raum geführt, in dem persönliche Dinge von Gefangenen
aufbewahrt werden. Uniformierte stellen mich an die Wand, durchsuchen mich,
und befehlen mir, mich komplett auszuziehen. Alles. Ich stehe nackig vor
ihnen und etwa zwei Minuten herrscht totale Ruhe in dem geschlossenem Raum.
Es sind zwei Uniformierte anwesend, der Raum liegt zum Grossteil im Dunkeln,
nur der Teil, in dem ich mich aufhalte, ist beleuchtet. Plötzlich schreien
die Männer mich an, brüllen mir direkt in die Ohren, ich verstehe
nichts, habe ohnehin klopfende Kopfschmerzen. Die befehlen mir, dass ich
mich bewegen soll, auf und ab, etwa wie ein Hampelmann...ich versuche das
Verlangte umzusetzen, woraufhin die Beamten mich verhöhnen und auslachen.
Sie schlagen auf mich ein, beide, die Schläge treffen mich im Gesicht,
in der Unterleibsgegend, sie schlagen gezielt mit flachen Händen auf
meine Ohren. Ich liege auf dem Boden und spüre die Tritte und Schläge
der Gefängnisbediensteten und muss wüste Beschimpfungen über
mich ergehen lassen. Ich liege auf der rechten Seite und versuche meinen
Kopf mit den Armen zu schützen, da stellt mir einer der zwei Uniformierten
seinen Schuh mitten ins Gesicht. Beide nutzen diese Situation, um mir zu
erklären, dass sie (wörtlich:) Faschisten sind, dass ich in ihrem
Land Italien bin und keine Rechte habe, dass der Duce (Mussolini) wieder
da ist, dass ich ihr Feind bin, und dass sie mich "killen" wollen.
Nach diesen Geschehnissen muss ich mich mit dem Gesicht zur Wand stellen,
währenddessen die Beamten mich hinter meinem Rücken beschimpfen
und bedrohen. Einer schneidet mir mit einer Schere meine Halskette und Armbänder
durch, der andere macht sich über meinen verängstigten und eingeschüchterten
Blick lustig. Die Halskette (samt Glücksstein) und die Armbänder
werden in den Müll geschmissen. Ich werde gezwungen Papiere zu unterschreiben,
von denen ich (bis heute) nicht weiss, was sie besagen oder was ich damit
bestätige. Ich werde daraufhin von einem weiterem Wärter in eine
Art Behandlungszimmer geführt, in dem zwei Männer sind, die weisse
Kleidung tragen. Der eine sitzt am Schreibtisch, der andere steht vor einem
Schrank und hält eine Spritze in der Hand. Er wiegt diese Spritze bedrohlich
auf und ab und grinst mich an. Mir wird deutlich gemacht, dass ich einen
Zettel unterschreiben soll, ansonsten würde ich eine Injektion bekommen.
Ich unterschreibe sofort. Ich sitze dem Mann in weisser Kleidung gegenüber
am Tisch, hinter mir steht der Wärter, der mich hierher geführt
hat, und beschimpft mich. Allem Anschein nach sind die beiden Männer
belustigt - sie lachen und spotten - und ich verspüre in dieser Situation
Angst und ein inmenses Unwohlsein. Ich werde befragt, ob ich rauche oder
drogensüchtig bin, damit ist die Behandlung abgeschlossen. Ich frage
nach etwas zu Essen und zu Trinken, worauf hin die Männer in den weissen
Kitteln lachen und der Wärter mich unsanft aus dem Behandlungsraum
schubst. Ich werde in eine Zelle geschlossen, in der ich Karsten Engels
wiedertreffe. Nach ca. einer Stunde werden wir erneut in eine andere Zelle
verlegt, in die letzte des Erdgeschosses, Cella uno (Zelle eins), in der
ich die nächsten 6 Wochen eingesperrt sein werde. Ausser mir befinden
sich zu diesem Zeitpunkt K.E., B.W. und V.A. in der Zelle. H.S. wird nach
kurzer Zeit ebenfalls hereingeführt.
Spät in der Nacht, wir liegen auf den Betten, betreten ca. 4 Wärter
den Raum, Wärter A reisst mir und allen andern die Bettdecken weg und
schlägt auf mich und die andern ein, Wärter B, C...schreien auf
italienisch - das einzige, was ich verstehe ist "black block"
und "merda" - in Kombination mit diesen Worten werden wir vom
Wärter A geschlagen. Dieser Überfall ist nach ca. 5 Minuten vorbei.
Ich liege auf dem Bett, das Neonlicht lässt sich nicht abschalten (auch
in den folgenden zwei Nächten wird es nicht ausgeschaltet, und wenn,
dann nur, um nach ca. 30 Min. wieder anzuschalten und den störenden
Effekt zu verstärken), ich habe stark pochende Kopfschmerzen, ich spüre
die Stellen, an denen mich der Polizeiknüppel vom Vormittag getroffen
hat, die Schläge und Tritte des Nachmittages und der Abends, besonders
schmerzt meine Brust und mein rechter Ellenbogen. Zudem begleitet mich hungerartige
Übelkeit, Traurigkeit und Angst.
Morgens früh betreten wieder ca.
4 Wärter die Zelle und wecken uns mit lautem Geschrei und vereinzelten
Schlägen auf. Wärter A klettert auf das 3-etagige Bett, um auf
den über mir liegenden H.S. einzuschlagen. Anschliessend schlägt
er mir ca. 3 mal auf den (ohnehin schon schmerzenden) Kopf und fragt nach
"black block". Ich erinnere mich dass ich verneine und antwortete,
dass ich "non violenti" bin und "pazifist"...er wiederholt
diese Wörter und schlägt mir dabei mit der flachen Hand ins Gesicht.
Der gleiche fordert K.E. auf, seinen Stiefel zu lecken, es ist K.s Geburtstag.
Schliesser A kommt erneut gegen Mittag in die Zelle, begleitet von mehreren
anderen und erteilt italienische Befehle. Hinsetzen, ins Bett legen, an
die Wand stellen und so weiter, wer nicht schnell genug pariert, wird geschlagen,
geschubst oder getreten, dieser "Italienischunterricht" wiederholt
sich an diesem Tag mindestens zwei mal.
C.M. wird später in die Zelle gebracht, Wir werden alle einem Psychologen
vorgeführt, der zwar freundlich ist, mit dem ich mich aber nicht verständigen
kann.
In dieser Nacht werde ich von der Gegensprechanlage
geweckt, über die eine drohende Männerstimme unsere Namen ruft,
sowie den Begriff "black block". Ca 4 Minuten lang. Alle Namen
abwechselnd (z.B.: Sven Lass.....black block.....K.E....black block...usw).
Dabei ist es dunkel in der Zelle, kurze Zeit später ist das Neonlicht
wieder eingeschaltet und brennt die ganze Nacht.
Am Morgen werden wir von mehreren Wärtern geweckt, wovon einer ( Wärter
D) einen grossen Wackerstein in der Hand hält. Wir müssen uns
alle aufstellen, und werden gefragt, ob dieser Stein einem von uns gehört.
Schliesser D macht Andeutungen den Stein zu werfen, schimpft uns "merda"
und verschwindet, bis er und weitere wiederkommen, um uns erneut zu beschimpfen.
Er grüsst beim Betreten der Zelle mit dem "Hitlergruss" und
fordert uns auf, ebenso zu grüssen. Erst allgemein, dann speziell mich,
ich weigere mich, woraufhin Wärter D mich ins Gesicht schlägt.
Er fordert diesen Gruss auch von B.W., auch er wird geschlagen. Wärter
D bedroht K.E. mit einem Stilett-Messer. Er deutet ihm an, die Kehle durchzuschneiden,
dann die Haare abzuschneiden, schliesslich reisst er ihm das Haarband aus
den Haaren, beschimpft uns alle und verschwindet.
können wir das erste
Mal mit der von uns benannten Rechtsanwältin Raffaela Multedo sprechen,
sowie mit einem Mitarbeiter des deutschen Konsulates, Herrn Wetzlau. Ich
erzähle ihm, dass wir geschlagen werden, bitte ihn gleichzeitig, diese
Informationen vorläufig nicht öffentlich zu machen, weil ich einfach
grosse Angst habe, dass die Wärter sich rächen könnten, sowie
ein Gefühl der Ungewissheit und des Ausgeliefertsein mein Handeln bestimmt
hat.
Die physischen Übergriffe enden mit den Besuchen der RA, sowie des
Mitarbeiters des Konsulates. Beschimpfungen, Bedrohungen und Beleidigungen
bleiben allerdings meine ganze Haftzeit in Marassi der allgegenwärtige
Umgangston.
, dass es
mir 6 Wochen lang nicht gestattet wurde zu telefonieren, dass mir mindestens
an 8 Tagen der Hofgang verweigert wurde, dass ich mittels Schlägen
und Tritten, aber auch tagelanger psychischer Gewalt gezwungen werden sollte,
schwere Straftaten zuzugeben, für die das italienische Strafmass 8
- 15 Jahre Haft vorsieht. Ich habe zu keiner Zeit in keiner Situation einem
Beamten Anlass dazu gegeben auf mich in gewalttätiger Form einzuwirken.
Ebenso habe ich mich darauf beschränkt, allein die "groben"
Vorkommnisse zu beschreiben, "kleinere" , wie das Schikanieren
unter der Dusche, auf dem Gang, vor Besuchen oder beim Essen, kommen in
meinem Bericht nicht vor, gehören im Gefängnis Marassi aber zur
Tagesordnung. Soweit ich das beobachten konnte, sind davon auch andere Gefangene,
vorwiegend Migranten betroffen.
Eine Anwältin zu benachrichtigen wurde mir verwehrt, ebenso mit meiner
Mutter zu telefonieren. Ich habe in dem vorliegenden Text versucht, das
Geschehene nüchtern und im Stile eines Gedächtnisprotokolls zu
beschreiben, d.h. dass ich auf meine Gefühle, Stimmungen, Ängste,
Sorgen und die Tatsache ohne konkreten Tatvorwurf eingesperrt zu sein, nicht
eingehe. Oftmals ist mir eine genauere Beschreibung der Personen oder verschiedener
Einzelheiten nicht möglich. Alles woran ich mich erinnern kann, habe
ich versucht hier bestmöglich und vor dem Hintergrund der Wahrheit
zu beschreiben.
Eine Klage gegen die Misshandlungen wurde am 23.10. (fristgemäss) von
meinem Anwalt Andrea Roveta beim Gericht in Genova eingereicht.
Sven - Dietrich Lass im Oktober 2001
|