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  Zeugnis eines in Genua während des G8-Gipfels inhaftierten Demonstranten.
   
 

Verhaftet wurde ich zusammen mit zwei Freunden am Samstag Nachmittag, als wir nach der Schlusskundgebung versuchten, uns in Richtung Zeltplatz durchzuschlagen. Es gab keinen offensichtlichen Grund für unsere Verhaftung: Wir waren drei Personen, relativ leicht bekleidet, keine Vermummung, ein Rucksack, sonst nichts. Dennoch hielt uns ein Polizist in zivil an, verlangte die Ausweise und seine Kollegen nahmen uns dann mit, damit wir uns zu den anderen Gefangenen gesellen konnten, die bereits bäuchlings auf der Strasse lagen. Wir wurden in einen Kastenwagen verfrachtet, wobei ich derjenige war, der zuunterst lag, und kamen dann in die Rote Zone auf ein Revier, wo unsere Identitäten festgestellt wurden. Konkret hiess dies für mich, in ein Zimmer geführt zu werden, in dem mich einer fragte, ob ich Deutschschweizer sei. Nachdem ich bejahte, spuckte er mir ins Gesicht. Das war's.

Dann wurden wir in die Kaserne Bolzaneto chauffiert. Dort hat man uns mit einem "Heil Hitler" empfangen, und wir wurden durch eine Schar Polizisten hindurch in ein Gebäude geprügelt, in eine Kammer mit Gitterfenstern, aber ohne Glas, gebracht, wo alle mit den Händen an der Wand über dem Kopf stehen bleiben mussten. Dort bekamen alle Gefangenen eine Ration Prügel. Für mich waren dies Schläge mit der Faust, sie hatten Handschuhe an, und Tritte in und zwischen die Beine. Ich musste mich ausziehen und eine Art Turnübung machen und meine Schuhbändel abgeben. Danach hatte ich noch Jeans und eine T-Shirt.

In dieser Bekleidung in der obig beschriebenen Art und Weise an der Wand stehend, verbrachte ich sicherlich fünf bis sechs Stunden. Ich hörte immer wieder Gelächter der Polizisten, Schreie der Gefangenen, bekam auch selbst ab und zu wieder Besuch von der Polizei. Die machten sich eine Freude daraus, uns die ganze Nacht hindurch mit faschistischen Sprüchen zu quälen. Ich kriegte ein wenig von den Leuten mit, die gerade neben mir an der Wand standen. Der eine war ein Deutscher und er konnte mir nicht mehr sagen, wo er sich befindet.

So zwischen Mitternacht und ein Uhr musste ich die Zelle verlassen und lief mit zum Boden gesenktem Kopf in ein benachbartes Gebäude. Auf beiden Seiten des Weges standen Polizisten, die keine andere Aufgabe zu haben schienen, als denen, die vorbei gingen, Tritte und Schläge zu verpassen. Im besagten Gebäude nebenan wurden dann meine Fingerabdrücke sowohl digital als auch mit Tinte festgehalten, es wurden Photos geschossen, die Grösse gemessen. In der Halle, in der dies geschah, waren Leute mit weissen Kitteln. Ich denke aber, es waren alles Polizisten.

Ich kam in eine neue Zelle neben der alten, wo ich wieder einige Stunden an der Wand stand. Darin stand auch derjenige, mit dem ich verhaftet wurde. Der Dritte habe ich nicht mehr gesehen.
Es war kalt. Ich fror beinahe die ganze Nacht hindurch.
So gegen schätzungsweise vier oder fünf Uhr musste ich dann irgendwelche Protokolle unterschreiben gehen. Ich war total verdutzt, als in dem Raum eine Polizistin sass, die mich auf schweizerdeutsch ansprach. Ich fragte sie, ob sie eine Idee davon habe, was auf diesem Gelände abginge. Sie stieg aber nicht auf meine Frage ein und als ich genauer wissen wollte, was ich unterschreibe, kam ein Polizist zu Hilfe und schlug meinen Kopf. Ich unterschrieb. Danach, im nächsten Raum, kam die ärztliche Untersuchung. Ich musste mich erneut auszeihen und diese Übungen (eine Art Kniebeuge) machen. Dabei half ein Uniformierter nach, während andere zusahen. Es war ein Arzt da. Alle meine Gegenstände wurden in ein Couvert gesteckt.

Nach diesen Formalitäten kam ich in eine Zelle, in der ich vorerst alleine war. Ich musste nicht mehr stehen sondern knien. Eine lange Zeit. Während dieser Zeit kamen immer mehr Gefangene, die sich neben mich hinknien mussten. Man konnte wenigstens ein wenig flüstern.

Als es schon heller wurde, hat man mich herausgerufen und ich musste schwarze Abfallsäcke in ein grosses Transportauto schleppen. Ich nehme an, in diesen Säcken waren Gegenstände, die den Gefangenen abgenommen wurden. Daraufhin kam ich wieder in eine Zelle. In dieser Zelle sassen zwei Mädchen. Sie waren die ersten weiblichen Gefangenen, die ich bis dahin gesehen hatte. Obwohl sie sitzen konnte, was ich nie durfte, erschrak ich sehr, als ich sie sah: Die Angst stach aus ihren Augen, die Angst, die wohl die meisten in Bolzaneto inhaftierten Personen packte, die ich aber bis dahin nicht sehen konnte. Es ist die Angst des absolut wehrlosen Menschen...

Der Deutsche, der neben mir an der Wand gestanden hatte wurde als nächster hinein gebracht. Zwei Polizisten haben ihm gesagt, er solle kriechen wie ein Hund. Er ging auf den Boden und sie traten ihn so stark, dass er nach vorne flog. Dann traten sie ihm in den Magen und so verfuhren sie auch mit mir.

Dann ketteten sie uns zusammen und wir mussten durch das Gebäude rennen, mussten abrupt wieder anhalten, wieder losrennen. Am Schluss kamen wir in den schon oben erwähnten Transporter, wo wir eingesperrt wurden. Ich konnte mich setzen. Die anderen drei in der gleichen Kabine schliefen sozusagen sofort. Ich denke, ich bin dann auch eingeschlafen. Auf jeden Fall kamen wir so im Gefängnis in Alessandria an. Die Ankunft war wie die Abfahrt. Wir wurden geprügelt, und sie haben uns erzählt, dass wir jetzt ganz schön weg sind von der freieren Welt und dass wir das wohl auch eine Weile bleiben werden.

Im Gefängnis wurde aber alles ruhiger. Schläge kamen keine mehr, nur dumme Sprüche, die die Wärter von Bolzaneto gelernt haben.
Am Dienstag Mittag entschied die Untersuchungsrichterin, dass ich keine Gefahr für die Öffentlichkeit darstelle und deshalb die Untersuchungshaft beendet wird. Nachdem ich dann noch sechs Stunden in einer abgelegenen Zelle dahinvegetierte, konnte ich dann das Gefängnis verlassen.

Ich habe die Leute gesehen, aber nicht realisiert. Erst als die Menschen vor dem Tor mir zu trinken gaben, mich umarmten, mir Zigaretten und Sandwichs anboten, merkte ich, dass diese Leute auf uns warteten, auf uns Gefangene. Das war Solidarität. Gelebte Solidarität. Das ist die Freiheit.


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