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Jul 31 '01  
bcast news
bericht von Genua - von Folter bis zurAuschaffung
by Stephan

"Gedächtnisprotokoll"
  Geschehnisse in Genova; Bericht eines Betroffenen
 

Ich (knapp 21 Jahre alt) und zwei Freunde (17, 21) reisten am Freitag morgen (20.7.2001) mit dem Zug nach Mailand und weiter mit Zug und Bus ins Zentrum von Genova, wo wir um 18 Uhr an der dem Social Forum Zentrum gegenüberliegenden Grenze der Roten Zone eintrafen. Zu diesem Zentrum gelangten wir mit einer ortskundigen Gruppe zu Fuss, wobei wir die Spuren der Demonstration - ausgebrannte Autos, eingeschlagene Fenster von Geschäften und Büros sowie demolierte Bankomaten - sahen, und von einem toten Demonstranten hörten. Als wir auch noch ein brennendes Haus bemerkten, entschlossen wir uns, so bald wie möglich einen der Campings aufzusuchen. Eine Gruppe von Italienern begleitete uns zu ihrem Campingplatz “Network” auf dem es noch genügend Platz hatte.

Am Samstag Mittag strömte man in grossen Gruppen zum Start der Demo. Es war überaus friedlich und sehr imposant, eine so grosse Masse auf der Strasse vereinigt zu wissen. In der Nähe der Roten Zone sah man jedoch, wie sich Radikale und Polizei eine Schlacht lieferten. Die Demonstration wurde jedoch von den Organisatoren auf die Allee, die offizielle Route, gelenkt. Wir beobachteten die Ereignisse aus sicherer Distanz und gingen mit den Demonstranten weiter, bis wir am Ende bei einer Bühne eintrafen, wo wir gegen 16 Uhr einen Teil der Schlusskundgebung mitverfolgten.

Vom Hunger angetrieben, suchten wir nach Verpflegungsmöglichkeiten. Doch alles war geschlossen, so dass wir Richtung Campingplatz aufbrachen. Der uns bekannte Weg blieb uns verwehrt, da die Polizei den gesamten Bereich zwischen dem Wirkungsort der Randalen bis zum Standort der Schlusskundgebung in Tränengas gehüllt hatte. Wir versuchten es seitwärts über den Hügel, wo uns in einer Strasse etwa zwei hundert Aktivisten - maskierte und mit Stöcken bewaffnete Demonstranten - entgegen kamen, die, wie wir nachher feststellten, die Strasse mit Container versperrten und diese sowie ein Auto angezündet hatten. Ihnen wollten wir uns keinesfalls anschliessen und schwenkten angesichts der entgegenkommenden Polizeitruppe in eine Strasse links hinauf ein, die sich allerdings als Sackgasse entpuppte. Dort waren noch fünf andere Personen, denen es gleich erging wie uns.

Nachdem der Tumult vorbei war und die Feuerwehr zu löschen begann, was einen stickigen Rauch bewirkte, entschieden wir uns, zu dritt wieder auf die Strasse Richtung Zeltplatz zu gehen. Dort kam uns ein Polizist entgegen und aufgrund einer Frau, die von ihrem Balkon aus schrie, wir seien in die Sackgasse geflüchtet, hielt er uns fest. Als die Frau bemerkte, wie uns geschah, insistierte sie, dass sie uns nur dorthin flüchten sah, dass sie uns aber nichts verbrechen sah. Wir hatten ausser einem Rucksack, darin ein Natel und ein T-Shirt, nichts dabei. Trotzdem wurden wir abgeführt und mit sieben weiteren Personen in einen Van gequetscht und in die Rote Zone gebracht, wo wir kurz registriert wurden. Mit dabei war auch ein Deutscher, der bewusstlos geschlagen wurde und sich in der Folge an kaum mehr etwas erinnern konnte.

Dann wurden wir in zwei Autos in eine improvisierte Polizeistation etwas ausserhalb der Stadt gebracht, wo uns um 18 Uhr die Polizisten im “ casa del lupo” (im Haus des Wolfes) empfingen.

Einzeln wurden wir in einen wohnzimmergrossen Raum geführt; ich kam als letzter hinein. Da standen knapp 20 Leute mit gespreizten Beinen, Hände und Kopf an der Wand. Ich musste mich ausziehen und mir wurden die Schnürsenkel abgenommen. Wieder angezogen, musste ich mich so hinstellen wie die anderen. Dann kriegte ich einen mächtigen Hieb in die Rippen, so dass ich mich krümmen musste. Als ich mich erholt hatte, schlugen sie mich mit dem Knüppel seitlich ans Schienbein. Einer griff mir an das Hintern und sagte “geiler Arsch”. Wir mussten stets den Kopf unten halten und durften nicht umherschauen.

So standen wir rund drei Stunden und erhielten von vorübergehenden Polizisten wiederholt Tritte in den Hintern und Schläge an den Kopf. Ständig riefen sie: “Heil Hitler”, “Viva il Duce”, “uno, due, tre, viva Pinochet” , “tutti merde” (alle Scheisse), ”stronzi” (Arschlöcher), “comunisti froggi” (schwule Kommunisten). Danach gewährten sie uns fünf Minuten Pause und wir durften absitzen. Nach weiteren drei Stunden, wiederum an der Mauer stehend, wurde ich an einen Ort geführt, wo mir die Fingerabdrücke genommen und Fotos gemacht wurden.

Wieder zurück in der Zelle, durfte ich eine Stunde ausruhen. Es war kalt, denn der Raum hatte nur Fenster ohne Scheiben, und ich war lediglich mit einem T-Shirt und kurzer Hose bekleidet. Danach mussten wir alle wieder an der Wand stehen, bis wir in eine andere Zelle geprügelt wurden, wo wir zuerst eine Stunde knien und uns anschliessend wieder an die Wand stellen mussten. Dreimal wurden wir von einer Zelle in die andere geprügelt. Diese Schläge empfanden wir beinahe als angenehm, da man für einen Moment nicht mit Händen und Kopf an der Mauer stehen musste.

Am Morgen erschien ein höherer Polizist, der mich aufgrund meines Aussehens “Che Guevara” nannte. Wir waren nur noch zu fünft in diesem Raum und von meinen Freunden wusste ich nichts. Nun musste ich, von einem Polizisten in den “Polizeigriff” genommen, “Che Guevara Arschloch” sagen. Der höhere Polizist erklärte, ich müsse viel lauter schreien, was ich gehorsam tat. Dafür kriegte ich einige Schläge an den Kopf. Die anderen vier hatten dasselbe zu tun. Einer schrie nicht laut genug, worauf er fast bewusstlos geschlagen wurde.

Am Sonntag um drei Uhr nachmittags - 21 Stunden nach meiner Ankunft und mindestens 16 Stunden mit erhobenen Händen und Kopf an der Mauer - wurden wir mit einem Bus ins Gefängnis von Alessandria (ca. 1 Stunde Weg) gefahren. Während all dieser Zeit gab es weder zu Essen und Trinken, noch konnte man schlafen. Das führte schliesslich zu eigentlichen Wahrnehmungsstörungen und man sah auf dem Boden Bilder, ja ganze Comics. Dieses Phänomen widerfuhr auch vielen anderen, wie ich später in Gesprächen im Gefängnis erfuhr.

Im Gefängnis konnten wir duschen und kriegten auch keine Schläge mehr. Gegen 20 Uhr erhielten wir etwas Kleines zu essen und konnten dann - nach bald 40 Stunden! - wieder einmal schlafen. Am Montag wurden wir in grossen Gruppen eingesperrt, und man sollte nun Gelegenheit erhalten, mit dem Anwalt zu sprechen. Zuerst wurden aber die bereits am Freitag Festgenommenen behandelt, sodass wir erst wieder am folgenden Tag auf dieses Gespräch hoffen konnten. Am Dienstag um 16 Uhr kam ich dann direkt vor den Richter, den ich zuerst für meinen Anwalt hielt. Schliesslich stiess aber eine Dolmetscherin und kurz darauf auch mein Verteidiger hinzu.

Nach anfänglichem Zögern sagte ich ausführlich aus, auch gegen die Polizei. Die Dolmetscherin bestätigte, dass die Aussagen auch mit jenen meines Freundes und anderer Gefangenen übereinstimme.

Um 21 Uhr sollte dann die ganze Gruppe freigelassen werden. Nun traf ich auch meinen Freund wieder und machte mit ihm vor dem Gefängnis ab, da ich etwa eine halbe Stunde später auch freikommen sollte.

Das handschriftlich ausgefüllte Formular des Richters, das ich als Kopie ausgehändigt erhielt, weist in keinem Punkt auf irgendeine Verfehlung hin und besagt, dass im Moment keine Massnahmen gegen mich angeordnet werden.

Nun wurde mir aber erklärt, ich werde ausgeschafft und mit fünf Jahren Landesverweis bestraft. Das entsprechende Dokument erhielt ich als Fotokopie nur deshalb, weil ich dessen Empfang mit Unterschrift bestätigt hatte. Um 22 Uhr wurde ich in Begleitung von 3 Polizisten im Landrover mit Blaulicht und horrendem Tempo nach Chiasso gefahren und an der Grenze der Schweizer Polizei übergeben, die mich um Mitternacht zum Bahnhof brachte. Nach einem einsamen Aufenthalt im Bahnhofgebäude bestieg ich um 5.30 Uhr den Zug und traf um 10 Uhr zu Hause ein. Mein Freund kehrte um 13 Uhr nach Hause, während der minderjährige Gefährte bereits am Sonntag morgen früh heimkehrte, glücklicherweise mit dem Gepäck von uns allen, das er vor seiner Rückkehr auf dem Zeltplatz abholte.

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