|
|
Ich (knapp 21 Jahre alt) und zwei Freunde (17, 21) reisten am Freitag morgen
(20.7.2001) mit dem Zug nach Mailand und weiter mit Zug und Bus ins Zentrum
von Genova, wo wir um 18 Uhr an der dem Social Forum Zentrum gegenüberliegenden
Grenze der Roten Zone eintrafen. Zu diesem Zentrum gelangten wir mit einer
ortskundigen Gruppe zu Fuss, wobei wir die Spuren der Demonstration - ausgebrannte
Autos, eingeschlagene Fenster von Geschäften und Büros sowie demolierte
Bankomaten - sahen, und von einem toten Demonstranten hörten. Als wir
auch noch ein brennendes Haus bemerkten, entschlossen wir uns, so bald wie
möglich einen der Campings aufzusuchen. Eine Gruppe von Italienern
begleitete uns zu ihrem Campingplatz Network auf dem es noch
genügend Platz hatte.
Am Samstag Mittag strömte man in grossen Gruppen zum Start der Demo.
Es war überaus friedlich und sehr imposant, eine so grosse Masse auf
der Strasse vereinigt zu wissen. In der Nähe der Roten Zone sah man
jedoch, wie sich Radikale und Polizei eine Schlacht lieferten. Die Demonstration
wurde jedoch von den Organisatoren auf die Allee, die offizielle Route,
gelenkt. Wir beobachteten die Ereignisse aus sicherer Distanz und gingen
mit den Demonstranten weiter, bis wir am Ende bei einer Bühne eintrafen,
wo wir gegen 16 Uhr einen Teil der Schlusskundgebung mitverfolgten.
Vom Hunger angetrieben, suchten wir nach Verpflegungsmöglichkeiten.
Doch alles war geschlossen, so dass wir Richtung Campingplatz aufbrachen.
Der uns bekannte Weg blieb uns verwehrt, da die Polizei den gesamten Bereich
zwischen dem Wirkungsort der Randalen bis zum Standort der Schlusskundgebung
in Tränengas gehüllt hatte. Wir versuchten es seitwärts über
den Hügel, wo uns in einer Strasse etwa zwei hundert Aktivisten - maskierte
und mit Stöcken bewaffnete Demonstranten - entgegen kamen, die, wie
wir nachher feststellten, die Strasse mit Container versperrten und diese
sowie ein Auto angezündet hatten. Ihnen wollten wir uns keinesfalls
anschliessen und schwenkten angesichts der entgegenkommenden Polizeitruppe
in eine Strasse links hinauf ein, die sich allerdings als Sackgasse entpuppte.
Dort waren noch fünf andere Personen, denen es gleich erging wie uns.
Nachdem der Tumult vorbei war und die Feuerwehr zu löschen begann,
was einen stickigen Rauch bewirkte, entschieden wir uns, zu dritt wieder
auf die Strasse Richtung Zeltplatz zu gehen. Dort kam uns ein Polizist entgegen
und aufgrund einer Frau, die von ihrem Balkon aus schrie, wir seien in die
Sackgasse geflüchtet, hielt er uns fest. Als die Frau bemerkte, wie
uns geschah, insistierte sie, dass sie uns nur dorthin flüchten sah,
dass sie uns aber nichts verbrechen sah. Wir hatten ausser einem Rucksack,
darin ein Natel und ein T-Shirt, nichts dabei. Trotzdem wurden wir abgeführt
und mit sieben weiteren Personen in einen Van gequetscht und in die Rote
Zone gebracht, wo wir kurz registriert wurden. Mit dabei war auch ein Deutscher,
der bewusstlos geschlagen wurde und sich in der Folge an kaum mehr etwas
erinnern konnte.
Dann wurden wir in zwei Autos in eine improvisierte Polizeistation etwas
ausserhalb der Stadt gebracht, wo uns um 18 Uhr die Polizisten im
casa del lupo (im Haus des Wolfes) empfingen.
Einzeln wurden wir in einen wohnzimmergrossen Raum geführt; ich kam
als letzter hinein. Da standen knapp 20 Leute mit gespreizten Beinen, Hände
und Kopf an der Wand. Ich musste mich ausziehen und mir wurden die Schnürsenkel
abgenommen. Wieder angezogen, musste ich mich so hinstellen wie die anderen.
Dann kriegte ich einen mächtigen Hieb in die Rippen, so dass ich mich
krümmen musste. Als ich mich erholt hatte, schlugen sie mich mit dem
Knüppel seitlich ans Schienbein. Einer griff mir an das Hintern und
sagte geiler Arsch. Wir mussten stets den Kopf unten halten
und durften nicht umherschauen.
So standen wir rund drei Stunden und erhielten von vorübergehenden
Polizisten wiederholt Tritte in den Hintern und Schläge an den Kopf.
Ständig riefen sie: Heil Hitler, Viva il Duce,
uno, due, tre, viva Pinochet , tutti merde (alle
Scheisse), stronzi (Arschlöcher), comunisti froggi
(schwule Kommunisten). Danach gewährten sie uns fünf Minuten Pause
und wir durften absitzen. Nach weiteren drei Stunden, wiederum an der Mauer
stehend, wurde ich an einen Ort geführt, wo mir die Fingerabdrücke
genommen und Fotos gemacht wurden.
Wieder zurück in der Zelle, durfte ich eine Stunde ausruhen. Es war
kalt, denn der Raum hatte nur Fenster ohne Scheiben, und ich war lediglich
mit einem T-Shirt und kurzer Hose bekleidet. Danach mussten wir alle wieder
an der Wand stehen, bis wir in eine andere Zelle geprügelt wurden,
wo wir zuerst eine Stunde knien und uns anschliessend wieder an die Wand
stellen mussten. Dreimal wurden wir von einer Zelle in die andere geprügelt.
Diese Schläge empfanden wir beinahe als angenehm, da man für einen
Moment nicht mit Händen und Kopf an der Mauer stehen musste.
Am Morgen erschien ein höherer Polizist, der mich aufgrund meines Aussehens
Che Guevara nannte. Wir waren nur noch zu fünft in diesem
Raum und von meinen Freunden wusste ich nichts. Nun musste ich, von einem
Polizisten in den Polizeigriff genommen, Che Guevara Arschloch
sagen. Der höhere Polizist erklärte, ich müsse viel lauter
schreien, was ich gehorsam tat. Dafür kriegte ich einige Schläge
an den Kopf. Die anderen vier hatten dasselbe zu tun. Einer schrie nicht
laut genug, worauf er fast bewusstlos geschlagen wurde.
Am Sonntag um drei Uhr nachmittags - 21 Stunden nach meiner Ankunft und
mindestens 16 Stunden mit erhobenen Händen und Kopf an der Mauer -
wurden wir mit einem Bus ins Gefängnis von Alessandria (ca. 1 Stunde
Weg) gefahren. Während all dieser Zeit gab es weder zu Essen und Trinken,
noch konnte man schlafen. Das führte schliesslich zu eigentlichen Wahrnehmungsstörungen
und man sah auf dem Boden Bilder, ja ganze Comics. Dieses Phänomen
widerfuhr auch vielen anderen, wie ich später in Gesprächen im
Gefängnis erfuhr.
Im Gefängnis konnten wir duschen und kriegten auch keine Schläge
mehr. Gegen 20 Uhr erhielten wir etwas Kleines zu essen und konnten dann
- nach bald 40 Stunden! - wieder einmal schlafen. Am Montag wurden wir in
grossen Gruppen eingesperrt, und man sollte nun Gelegenheit erhalten, mit
dem Anwalt zu sprechen. Zuerst wurden aber die bereits am Freitag Festgenommenen
behandelt, sodass wir erst wieder am folgenden Tag auf dieses Gespräch
hoffen konnten. Am Dienstag um 16 Uhr kam ich dann direkt vor den Richter,
den ich zuerst für meinen Anwalt hielt. Schliesslich stiess aber eine
Dolmetscherin und kurz darauf auch mein Verteidiger hinzu.
Nach anfänglichem Zögern sagte ich ausführlich aus, auch
gegen die Polizei. Die Dolmetscherin bestätigte, dass die Aussagen
auch mit jenen meines Freundes und anderer Gefangenen übereinstimme.
Um 21 Uhr sollte dann die ganze Gruppe freigelassen werden. Nun traf ich
auch meinen Freund wieder und machte mit ihm vor dem Gefängnis ab,
da ich etwa eine halbe Stunde später auch freikommen sollte.
Das handschriftlich ausgefüllte Formular des Richters, das ich als
Kopie ausgehändigt erhielt, weist in keinem Punkt auf irgendeine Verfehlung
hin und besagt, dass im Moment keine Massnahmen gegen mich angeordnet werden.
Nun wurde mir aber erklärt, ich werde ausgeschafft und mit fünf
Jahren Landesverweis bestraft. Das entsprechende Dokument erhielt ich als
Fotokopie nur deshalb, weil ich dessen Empfang mit Unterschrift bestätigt
hatte. Um 22 Uhr wurde ich in Begleitung von 3 Polizisten im Landrover mit
Blaulicht und horrendem Tempo nach Chiasso gefahren und an der Grenze der
Schweizer Polizei übergeben, die mich um Mitternacht zum Bahnhof brachte.
Nach einem einsamen Aufenthalt im Bahnhofgebäude bestieg ich um 5.30
Uhr den Zug und traf um 10 Uhr zu Hause ein. Mein Freund kehrte um 13 Uhr
nach Hause, während der minderjährige Gefährte bereits am
Sonntag morgen früh heimkehrte, glücklicherweise mit dem Gepäck
von uns allen, das er vor seiner Rückkehr auf dem Zeltplatz abholte.
|