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Ihr wart in der Schule, als die Polizei kam und alle verhaftete
wie habt ihr das erlebt?
Wir kamen am früheren Abend an,
um das Internet zu benützen und herauszufinden, was den Tag hindurch
und am Tag zuvor passiert war. Zudem wollten wir unseren FreundInnen und
Eltern ein e-mail schicken und mitteilen, dass wir eher früher als
später zu Hause ankommen würden. Wir lagen in unseren Schlafsäcken,
bereit zum schlafen, und ich erfuhr jetzt, dass es so um elf oder zwölf
gewesen sein muss, als die Polizei kam.
Wir hörten, dass draussen etwas ging, und ein Typ kam hereingerannt
und schrie etwas auf Italienisch oder Deutsch oder sonst einer Sprache,
die wir nicht verstanden. Aber wir verstanden, dass die Polizei da war.
Die Türen wurden geschlossen und verbarrikadiert. Wir hörten die
Polizei, wie sie draussen an die Tür trat, das Fenster uns gegenüber
wurde von der Polizei zerschlagen, und die Splitter flogen an meinem Gesicht
vorbei, als ich neben dem Fenster vorbeirannte. Wir wurden zusammengedrängt,
alle zusammen wurden wir die Treppe hinaufgedrängt, wir versuchten,
einen Platz zu finden, wo wir uns verstecken konnten. Niemand verstand,
was eigentlich passierte, es war völlige Panik. Als ich den ersten
Bullen sah, wie er die Tür eintrat, sah ich hinter ihm nur blaue Uniformen,
sonst nichts. Ich wusste überhaupt nicht, wie viele Bullen dort waren,
was passierte, und natürlich erwartete ich nicht das Ausmass der Gewalt,
das sie ausübten. Wir rannten also die Treppe hinauf bis in den obersten
Stock, so weit wie wir hinauf konnten. Dort rannten wir in die hintere Ecke
des Stockwerks, wo ein Fenster war und begannen, aus dem Fenster zu klettern.
Wir waren vielleicht etwa sechs Leute...
Ich glaube, zwischen sechs und zehn von
uns waren dort, ich bin nicht sicher, obs im zweiten oder im dritten
Stock war. Einige konnten aus verschiedenen Fenstern klettern. Einige davon
konnten fliehen, andere wurden in der Nähe der Schule geschnappt und
noch mehr geschlagen. Wir waren im zweiten oder dritten Stock und wollten
aus dem Fenster klettern, aber als wir aus dem Fenster schauten, sahen wir,
dass überall Polizei war. Wir wussten nicht was machen, wir sahen die
Polizei bereits die Treppe heraufkommen, sie waren am Ende des Korridors,
und wir hielten die Hände über die Köpfe, ich erinnere mich,
und dachten: Jetzt ist es zu spät. Sie begannen zu schreien und befahlen
uns, uns auf den Boden zu legen. Wir legten uns hin, wir waren zusammengedrängt,
am Boden... Willst du weiterfahren?
Als ich vom Fenster runterkletterte,
kam dieser Polizei-Offizier rüber und zerschlug einen Tisch oder einen
Stuhl und schrie rum. Er zerschmetterte dieses Ding, und da dachte ich:
Hier geht was ab, das ist völlig aggressiv, und wir legten uns auf
den Boden im Stil: Okay, wir haben nichts, es ist gut. Und die erste Person
von uns wir lagen alle zusammengekauert ... Ich sah diesen
Polizisten, wie er sie oder ihn einfach mit dem Schlagstock auf den Kopf
schlug, richtig hart, und dann hielt ich meinen Kopf runter und begann zu
begreifen, was passieren würde.
Mehr und mehr Polizisten kamen durch die Tür und näherten sich
durch den Korridor, alle kamen zusammen. Wir waren am Boden zusammengekauert,
und jeder von ihnen schlug uns systematisch, Schlagstock nach Schlagstock.
Gegen Ende sah es so aus, als ob sie fast miteinander ringen würden,
damit uns jeder über die anderen Polizisten hinweg auch noch seine
Schläge verpassen könnte. Das Knäuel von uns auf dem Boden
ich glaube, ich war am Ende des Korridors, wo eine Tür neben
mir war, so dass ich, glaube ich, am meisten von uns abkriegte... sie kamen
zu uns, schlugen uns, schlugen mich, schlugen, schlugen, schlugen, und dann
gingen sie in dieses Zimmer und kamen zurück, und da war ich der erste
und sie schlugen einfach zu, schlugen mich, schlugen, schlugen. Ich konnte
nicht sehen, was den anderen Leuten passierte, ich hörte sie bloss
schreien und weinen. Ich weiss nicht, wie lange es dauerte, aber nach etwa
der Hälfte begann ich die Tatsache zu akzeptieren, dass sie uns höchstwahrscheinlich
umbringen würden. So glaubte ich jedenfalls. Ich begann zu begreifen:
Vielleicht sind wir Tiere für sie weil sie überhaupt keine
Emotionen zeigten, sie schlugen nur, schlugen, schlugen, ohne Pause. Da
beschloss ich, auf Englisch zu sprechen, ich sagte: Bitte hört auf,
hört auf, und ich wiederholte es andauernd, obwohl sie einfach weiter
zuschlugen, vielleicht schrie ich es auch, ich wollte bloss, dass sie wissen,
dass wir keine Tiere sind. Aber es half nichts, ich denke, vielleicht schlugen
sie mich sogar mehr.
Carol, schlugen sie dich auch?
Ja. Ich hatte Glück, weil ich meinen
Rucksack noch immer anhatte, einen grossen Rucksack, so konnten sie nicht
richtig. Ich war unter meinem Rucksack zusammengekauert und ich hatte noch
zwei Jacken, die ich schnell gepackt hatte, weil ich dachte, dass wir rausgehen
würden, ich weiss nicht... Wir waren in so einem Stress, dass ich einfach
alles packte, was ich hatte, oder ich probierte es zumindest, und diese
Sachen hatte ich dann noch. So hatte ich die zwei Jacken über meinem
Kopf, und ich hatte Glück, weil sie die Schläge dämpften.
Ich wurde vor allem auf eine Seite geschlagen, die meisten Leute, die ich
sah, lagen am Boden und wurden auf eine Seite geschlagen.
Alle, die ich sah, scheint es, kriegten das meiste auf einer
Seite ab. Und die Polizei sagte hinterher natürlich, dass wir uns gegen
die Festnahme wehrten, aber bei allen, die dort waren, ist es offensichtlich,
bei den Schlägen auf einer Seite, dass wir alle zusammengedrängt
lagen, mit den Armen über dem Kopf, um den Schädel vor den Schlägen
zu schützen. Viele Frauen, die ich sah, haben gebrochene Arme, während
die Männer Löcher in den Köpfen haben. Als wir die Treppe
in der Schule hinuntergingen, sah ich, wie Männer, die noch nicht aus
dem Kopf bluteten, auf dem Weg hinunter noch mehr Schläge abkriegten.
Wie um einen Stempel zu hinterlassen, schien es.
Du sagst Männer schlugen sie vor allem Männer?
Nein, die Prügel war systematisch.
Alle wurden geschlagen. Alle, die wir sahen, wurden geschlagen. Sie diskriminierten
nicht zwischen Männern und Frauen. Aber ich denke, wie gesagt, von
dem was ich sah und ich konnte nicht viel sehen, meine Sicht war
durch das Blut, das mir vom Kopf lief, gefiltert , dass die Männer
auf den Kopf tätowiert wurden, während die Frauen vielleicht nicht
direkt auf den Kopf geschlagen wurden ... Natürlich wurden aber auch
viele Frauen auf den Kopf geschlagen.
Wieviele Leute waren zu dieser Zeit im Zentrum?
Ich weiss, dass 31 Frauen in meiner Gefängniszelle
waren, und vielleicht 40 oder 50 Männer in der Zelle daneben...
93 Leute wurden in der Schule verhaftet,
aber natürlich erfuhren wir das nicht in der Schule oder bevor wir
unseren Verhaftungsreport erhielten. Ich kriegte den, als ich
im Gefängnis war.
Vielleicht waren auch mehr Leute dort,
weil einige von ihnen flohen und ein paar konnten aus dem Spital raus, ohne
ins Gefängnis zu kommen.
Und ich bin sicher, dass einige einfach
verschwanden, und man weiss nichts von ihnen. Was passierte mit ihnen? Niemand
weiss es.
War das eure erste Nacht in der Schule?
Wir gingen dorthin, um die Computer zu
benützen, wie viele andere Leute auch. Das ist interessant, viele Leute
waren eben erst gekommen, es gab nicht eine Gruppe, die fest dort war, es
war alles zusammengewürfelt: Leute, die dachten, dass das ein sicherer
Ort war, um die Nacht zu verbringen, dass man die Computer benützen
konnte, und es war drinnen, also war es wärmer, als draussen zu schlafen.
Also es war eine zusammengewürfelte Gruppe von Einzelnen oder Gruppen
von Freunden und Freundinnen.
Ich erfuhr später, dass Indymedia
vielen Leuten gesagt hatte, dass sie dort hingehen sollten, weil ihre eigenen
Räume schon voll waren. Die Schule war gemietet, also war es legal.
Vorher hatten wir in einem grossen Fussballstadion übernachtet, dass
das Genova Social Forum gemietet hatte.
Ja, es war die erste Nacht, die wir dort verbrachten, aber wir kamen nicht
zum Schlafen, wir waren gerade erst in unseren Schlafsäcken und sprachen
noch ein bisschen. Wir hatten noch nicht einmal unsere Augen geschlossen.
Ihr habt gesagt, dass die Bullen rumschrien. Habt ihr verstanden, was
sie schrien?
Das Einzige, woran ich mich erinnern
kann, ist Bastardo, Bastardo wie Scheisskerl, Scheisskerl.
Und dann schrie Daniel: Bitte hört auf!, und ich sagte:
Basta, basta, aufhören, bitte aufhören, aber...
Sie schrien auch etwas in Sprechchören,
und später fanden wir heraus, von jemandem, der dort war und Italienisch
kann, dass sie schrien: Wir werden euch umbringen, wir werden euch
umbringen.
Ja, und sie sangen faschistische Lieder,
als sie reinkamen
Ich weiss nicht
Einige von ihnen sangen...
Sie sagten einige Sachen auf Englisch, wie: Runter, runter, nicht
aufstehen, schau mich nicht an und solche Sachen. Weil wenn du sie
anschautest... sie wollten nicht identifiziert werden können,
die meisten von ihnen trugen auch Masken oder Helme, um die Gesichter zu
verdecken, so konnte man gar nicht sehen, wer sie sind.
Waren sie alle von derselben Polizei? Von welcher?
Wir erfuhren jetzt, dass die Polizisten
in der Schule von einer speziellen Einheit waren, die von Rom hergebracht
wurde. Dies sagte ein Polizeioffizier, der einer italienischen Zeitung,
La Repubblica, ein Interview gab. Ich kann mich nicht an die
Einzelheiten erinnern, woher sie genau waren, aber es war bestimmt eine
Spezialeinheit von Rom. Sie wollten keine Polizisten von Genua dafür
brauchen.
Möglicherweise eine Anti-Terror-Einheit
Andere Leute berichteten, dass die Bullen dieses Lied sangen: uno due tre,
viva Pinochet, quattro cinque sei, morte ai ebrei, ......
Es wurde so viel geschrien, geweint
und gekreischt, dass du gar nichts richtig ausmachen konntest, vor allem,
wenn es auf Italienisch war. Ich kann mich nur an die Schreie der Leute
neben mir und von Carol unter mir erinnern, und an Leute, die schrien, dass
die Polizei aufhören sollte.
Konntet ihr zusammen bleiben?
Nein. Ja, doch, aber nur in der Schule.
Ja, und dann wurde ich auf einer Bahre
ins Spital gebracht. Carol wurde in ein anderes Spital gebracht. Und dann
waren wir in verschiedenen Gefängnissen.
Wer brachte euch ins Spital? Die Polizei?
Nachdem wir von den Bullen im Korridor
geschlagen wurde, sagten sie uns schliesslich: Steht jetzt auf! Da mussten
wir den Leuten helfen, die selbst nicht mehr stehen konnten, und wir standen
alle auf und sie führten uns die Treppe hinunter. Das war das erste
Mal, dass wir einen Sanitäter sahen, in einem orangenen Gewand. Da
war nur einer, den wir sehen konnten, und er versuchte, die schwerer Verletzten
auf eine Seite zu bringen, aber die Polizei liess sie nicht rübergehen.
Alle, die rübergehen wollten, wurden
von den Bullen geschlagen, die neben dem Sanitäter standen.
Ja, genau. Ich versuchte, Daniel zum
Sanitäter zu bewegen, aber es ging nicht, so wurden wir die Treppe
runtergedrängt bis zur Eingangshalle, und wir waren alle zusammengedrängt.
Sie sagten uns, dass wir auf den Boden liegen sollten, dass wir nicht aufschauen
dürften, wir wurden alle zusammengedrängt mit dem Gesicht auf
dem Boden, so dass wir die Polizisten um uns herum nicht sehen konnten.
Schliesslich kamen ein paar Sanitäter mehr, aber ich glaube, das waren
keine richtigen, bloss Freiwillige, weil sie wussten gar nicht, was sie
tun sollten. Offensichtlich war dies eine Notfallsituation, aber alles was
sie hatten, war Desinfektionsmittel, das sie den Leuten auf die Köpfe
tropften, und ein paar Verbände oder so. Sie rannten von einer Person
zur anderen, tätschelten ihre Köpfe, wussten nicht, was tun...
Die Leute schrien, einige hatten gebrochene Schlüsselbeine. Unterdessen
ging die Polizei durch den Raum, sie lasen Rucksäcke auf, warfen sie
rum, suchten irgendwas.
Sie trampelten auf allem herum, was
kaputt gemacht werden konnte. Ich sah den einen Polizisten aus dem Augenwinkel,
der auf allem herumtrampelte, und als wir am Boden lagen, trat einer der
Polizisten Carol, weil sie gerade am Ende unseres Knäuels lag. Er trat
sie in den Arsch mit seinen schweren, grossen Fallschirmjägerstiefeln,
denen, mit denen sie mir auch in den Kopf traten, als sie mich auf dem oberen
Stock schlugen. Es war wie eine Masse von Stiefeln. Wir lagen wahrscheinlich,
ich weiss es nicht genau, aber jemand sagte später, dass wir wahrscheinlich
eine halbe Stunde dort waren, nur am Boden lagen und bluteten und weinten.
...und warteten auf die Ambulanz.
Ich glaube, ich war einer der ersten,
der mit der Ambulanz wegging...
Nein. Als schliesslich eine Ambulanz
kam, schrie ich, dass sie zu Daniel kommen sollten, weil er viel mehr blutüberströmt
schien als alle anderen, aber von da an dauerte es etwa noch eine halbe
Stunde. Schliesslich kam ein Arzt, der Englisch konnte, und er versuchte,
die Leute zu beruhigen, und sagte ihnen, dass sie in einer halben Stunde
im Spital sein würden, dass er sich um sie kümmern würde,
dass man sie jetzt nicht schlagen würde...
Ich glaube, zu diesem Zeitpunkt waren
mehr Ärzte da, und die Polizei ging zur Seite, weil sie merkte, dass
die Leute in die Schule sehen konnten. Als man mich rausbrachte, schien
mir, dass Tausende von Leuten dort waren, aber ich bin sicher, dass nur
etwa 100 oder 200 vor dem Indymedia Centre standen, das gleich gegenüber
der Schule war. Und da waren noch mal etwa so viele Journalisten und Kameras,
und alle schrien in Sprechchören gegen die Polizei. Wie ich sagte,
konnten sie in die Schule sehen, und ich glaube, die Prügel ging oben
noch weiter, und gegenüber konnten sie die Schreie hören, sahen,
wie das Licht an- und ausging, hörten die Leute weinen und die Polizei
brüllen und in Sprechchören schreien.
Man brachte mich auf einer Bahre raus, und am Anfang, gleich als wir zur
Tür rauskamen bis wahrscheinlich zur Strasse, waren Polizisten auf
beiden Seiten, dieselben, die uns geschlagen hatten, standen mit ihren Schlagstöcken
und schauten auf meine Bahre herunter. Wegen des Schocks, in dem ich war,
war ich sicher, dass sie gleich wieder beginnen würden, mich zu schlagen.
Ich hatte die Leute noch nicht gesehen, die von der anderen Strassenseite
alles mitverfolgten. Also gingen wir da durch, sehr langsam, viele Kameras
in meinem Gesicht, und sie schoben mich in die Ambulanz. Ich sass dort einige
Minuten und wusste nicht, ob meine Arme oder Beine gebrochen waren. Und
sie brachten noch mehr Leute in die Ambulanz, und von da dauerte es noch
länger, weil sie um die rote Zone der Stadt herumfahren mussten. Vielleicht
ging es eine halbe Stunde, bis wir im Spital waren, für mich waren
es Stunden. Als wir beim Spital ankamen, konnten wir nicht aussteigen, bis
die Polizei dort war und den Weg von der Ambulanz bis zum Spital säumte.
Musstest du zu Fuss von der Ambulanz bis ins Spital gehen?
Daniele: Nein, ich war auf einer Bahre. Ich war der einzige in unserer Ambulanz,
der auf einer Bahre war. Bevor wir einen Arzt sehen konnten, mussten wir
eine Identitätskarte abgeben, und ich hatte keine, ich hatte nur Carols,
deshalb musste ich noch warten während... ich weiss nicht, wie lange,
es war eine lange, lange Zeit, vielleicht 20 Minuten, bis ein Arzt oder
sonst jemand ich glaube nicht einmal ein Arzt kam und begann,
meinen Kopf zusammenzunähen und das Blut wegzuwischen, das noch nicht
weg war. Sie hatten mein Gesicht abgewischt, als sie mich aus der Schule
trugen. Ich glaube, sie merkten, dass da viele Kameras waren, und als ich
rauskam, wollten sie nicht, dass es so heftig aussah, wie das Blutbad war.
So wischten sie das Blut von unseren Gesichtern, so dass wenn du die Bilder
anguckst von den Leuten, die aus der Schule kommen, es nicht nach so einem
Blutbad aussieht, wie es war... Du kannst auch die Bilder sehen, die drinnen
gemacht wurden, und da waren überall Blutpfützen. Das Blutbad
war immens. Aber ja, sie wischten uns die Gesichter ab.
Als Daniel im Spital war, warst du, Carol, in einem anderen Spital?
Ja, nachdem Daniel gegangen war, brachten
sie mehr Bahren, und ich hatte Glück: Der Arzt, der Englisch konnte
und mit dem ich vorher gesprochen hatte, um Versorgung für Daniel zu
kriegen, sagte mir, ich solle mich auf eine Matte legen, und ich wusste,
dass dies meine einzige Chance war, entweder ins Spital oder in den Knast
zu kommen. Und ich wusste, dass ich eher ins Spital als in den Knast wollte,
auch wenn ich wusste, dass es meinem Kopf gut ging, und ich nicht dachte,
dass ich irgendwelche schlimmen Verletzungen hatte, bloss starke Verstauchungen
und Wunden. So konnte ich zu Fuss gehen, und die Sanitäter führten
mich raus, und natürlich war dort sehr viel Polizei, aber ich hatte
nicht gemerkt, dass auch so viele Leute da waren, die alles mitgekriegt
hatten. Das war ein grosser Schock für mich. Sie führten mich
also in den Ambulanzwagen, und glücklicherweise kam ein Mann vom Genova
Social Forum mit mir rein, und noch ein anderer Mann, und er fragte uns
sofort, was passiert war. Er konnte mit uns sprechen, und ich erzählte
ihm alles, was passiert war. Ich weiss nicht, wie ich das zu diesem Zeitpunkt
konnte, aber ich glaube, ich konnte es, und hoffentlich schrieb er es dann
auf oder so. Er kam mit uns bis zum Spital wir gingen in ein anderes
Spital als Daniel, es hiess San Martino und als wir ankamen, legten
sie mich auf eine Bahre. Vielleicht waren da zehn Leute auf Bahren im Spital.
Mich behandelten sie sofort, sie röngten mich und so. Der Mann vom
Genova Social Forum war die ganze Zeit bei mir, fragte mich Sachen und sagte,
es sei gut. Da war auch Polizei, aber sie hatten mir die Brille weggenommen,
so dass ich gar nicht sah, was rundherum passierte.
Wer nahm deine Brille weg?
Die Ärzte. Es sah ganz so aus, als
ob die Ärzte mit der Polizei zusammenarbeiteten.
Ja, eindeutig, in meinem Spital arbeiteten
die Ärzte für die Polizei. Ich wurde in einen abgetrennten Flügel
des Spitals gebracht, eigentlich war es ein separates Gebäude. Es sah
etwa so aus, wie wenn dies das Spital war, das die Polizei oder das Militär
für Gefangene oder Verhaftete auf dem Transfer ins Gefängnis brauchten.
Und dort war es zweifellos eine Sache der Polizei oder des Militärs,
wo die Ärzte oder das Pflegepersonal ganz sicher für die Polizei
arbeiteten. Und die psychologische Störung dort war genau so heftig
als in der Schule, wenn nicht heftiger. Zwar wurde keine körperliche
Gewalt gegen mich ausgeübt, aber sobald ich in einem Bett war, nahmen
die Polizisten der Penitentiary Police sie hatten sich rund um unsere
Betten aufgestellt, wir hatten Betten mit einem Stahlgestell , nahmen
sie also ihre Knüppel raus und begannen, gegen die Bettgestelle zu
schlagen und grölten: Black Block, rawh, rawh, rawh. Sie bellten wie
die Hunde und sprachen auf Italienisch, so dass ich nichts verstehen konnte.
Das ging so die zwei Nächte, die ich im Spital verbrachte, dauernder
psychologischer Missbrauch. Ich sah zwei Leute mit einem IV im Arm, die,
als sie aufstanden, um zur Toilette zu gehen, von den Polizisten rumgeschubst
wurden. Und während der ganzen Zeit hatten die Ärzte und das Pflegepersonal,
die alles mitbeobachteten, beschlossen, nichts zu sehen, und drehten den
Kopf zur Seite und versuchten zu glauben, dass sie nichts sahen.
Warum denkt ihr, arbeiteten die Ärzte und das Pflegepersonal mit
der Polizei?
Ich glaubte damals, dass es nur durch
Einschüchterung war. Ich sah einen Arzt, der dem Polizisten widersprach,
der am meisten Autorität zu haben schien und verantwortlich war. Von
da an sah ich diesen Arzt nie wieder. Ich weiss nicht, warum, vielleicht
weil ich in einem Polizei-Spitalflügel war, dem Flügel mit Hochsicherheit
und so. Da waren vielleicht acht von uns, und zwischen zehn oder bis 15
Polizisten, und dann etwa zwei Krankenschwestern und höchstens ein
Arzt. Das Zimmer war einfach voller Bullen.
Und vielleicht dachten sie, dass wir
es so verdienten.
Daniel: Ah ja, die Polizei erzählte dem Pflegepersonal, dass wir Terroristen
seien, dass wir Banken in die Luft gesprengt, Wohnhäuser abgefackelt
und Genua geplündert hätten undsoweiter. Ich glaube, die Pflegerinnen,
Pfleger und Ärzte glaubten das, obwohl sie uns ohne Diskriminierung
pflegen sollten. Es war offensichtlich, dass uns die meisten diskriminierten.
Bekamst du angemessene medizinische Betreuung?
Daniel: Für mich war es wie auf einem Fliessband in der Fabrik. Sie
röntgten uns eine nach der anderen Person. Ich weiss überhaupt
nichts von Röntgen oder medizinischen Berufen, aber ich sah, dass der
Röntgenapparat sicher nicht auf die Körperstellen gerichtet war,
die mir am meisten Sorgen bereiteten, wie mein Handgelenk und mein Arm.
Sie gingen eher schnell schnell über diese oder jene Körperstelle,
über das Bein, und schwupp, das wars. Kein Definieren der Knochen,
von denen ich das Gefühl hatte, dass sie gebrochen waren. Sie schoben
mich durch eine Röhre, aber ob da irgendeine Information zurückkam,
weiss ich nicht. Ich sah nie einen Arzt, der unsere Röntgenbilder oder
Krankenberichte studierte. Vielleicht guckten sie sie bloss schnell an,
um zu sehen, dass da keine Brüche oder ein dauernder Hirnschaden war,
den sie erkennen konnten. Aber sie kamen nie zu uns oder fragten uns, was
schmerzte oder was sie tun könnten, wie Schmerzmittel, nichts von alledem.
Bekamst du kein Schmerzmittel?
Nein. Nein. Ich sass in meinem Bett,
ich stand zweimal auf, um zum Badezimmer zu gehen. Während zwei Tagen
sass ich bloss in meinem Bett, zweimal brachten sie mich ins Röntgen.
Am letzten Tag, bevor ich entlassen wurde, gab es etwas mehr medizinische
Untersuchung, aber ich denke jetzt, dass diese, vom Standpunkt des Spitals,
bloss gemacht wurde, um zu sehen, was verletzt war, was uns für ein
Trauma zugefügt worden war. So konnten sie ihren Bericht schreiben,
sagen, was passiert war und ihre Hände sauber waschen. Dann brachten
sie uns ins Gefängnis.
Wurdest du genäht?
Ja, ich glaube, ich habe zehn Fäden
in meinem Kopf. Aber sie kamen nie, um die Naht zu desinfizieren, sie nähten
bloss und liessen es so. Ich mache mir deshalb immer noch ein bisschen Sorgen,
dass da irgendwelche Bakterien oder so drin sein könnten. Es geht um
meinen Kopf, mein Hirn ist da drin. Ich mache mir etwas Sorgen.
Schmerzt es noch immer?
Ja, die blauen Flecken sind zurückgeganen,
aber es fühlt sich an, wie wenn sie jetzt alle weiter drin sind. Meine
Arme und meine Beine. Ich habe Schwierigkeiten zu gehen. Ich habe noch immer
Schwierigkeiten mit Pinkeln, deshalb glaube ich, dass etwas mit meinen Nieren
nicht gut ist. Mein Kopf war ein dauernder Schmerz, gar nicht zu sprechen
von meinen Nerven. Psychologisch wurde da zweifellos der grösste Schaden
angerichtet. Jetzt, am vergangenen Tag, seit wir hier sind, haben wir uns
etwas entspannen können. Aber wenn ich einen Knall höre draussen,
steht mein Herz still, ich zittere dauernd. Ein Zittern geht ständig
durch meinen Körper. Wenn ich meine Hände betrachte, zittern sie
immer ein wenig. Ich glaube, meine Nerven sind fertig.
Pos traumatische Rreaktionen...
Ja, klar, der Stress ist heftig, ohne
Zweifel. Schlafen, vergiss es. Ich kann vielleicht gerade mal zwei Stunden
schlafen, dann wache ich auf von einem schrecklichen Alptraum und sitze
da, und alles geht mir noch einmal durch den Kopf. Einschlafen ist fast
unmöglich. Ich schliesse die Augen und sehe alles noch einmal, höre
andere Leute schreien, wieder und wieder.
Wie fühlst du dich, Carol, eine Woche danach?
Heute scheint es in Zyklen zu kommen
und gehen. Besonders wenn andere Leute da sind, fühle ich mich gut,
wie jetzt, jetzt geht es mir gut. Aber dann kommt es wieder zurück,
und besonders wenn ich versuche einzuschlafen, geht es nur sehr oberflächlich.
Ich denke, dass ich noch immer im Knast bin, dass sie draussen sind, und
sobald ich einen Schritt mache, kommen sie... Ja, das geht mir dauernd durch
den Kopf, ich glaube, weil ich körperlich nicht so geschädigt
wurde wie Daniel, aber ... die psychologische Tortur. Im Spital wurde ich,
medizinisch, gut behandelt. Ich hatte auch nicht viel. Sie liessen mich
eine Nacht dort schlafen, was ein Glücksfall war. Aber sie sagten mir
auch, dass ich am nächsten Tag freigelassen würde. Bleib
nur eine Nacht hier, dann kannst du nach Hause. Und ich dachte: Gut,
ich ruhe mich aus, schlafe hier, und morgen kann ich gehen und Daniel suchen.
Das war alles, woran ich dachte, weil das letzte Mal, als ich ihn gesehen
hatte, hatte ich sein Blut überall auf meinen Händen und meinem
Gesicht. Am nächsten Tag, noch bevor ich aufwachte, brachten sie mich
in ein anderes Zimmer, zu einem Mädchen, das den Arm gebrochen und
am ganzen Körper blaue Flecken hatte. Das Zimmer wurde von Carabinieri
bewacht, so dass ich merkte, dass ich nicht gehen konnte. Etwa um ein Uhr
kam die Penitentiary Police und legte uns in Handschellen. Ich fragte, wofür
sie mich verhafteten und warum. Sie antworteten nicht, sie sagten mir nie,
warum ich verhaftet worden war, was die Anschuldigung war. Sie legten uns
einfach in Handschellen, durchsuchten uns, und sagten uns, dass wir gegen
die Wand stehen sollten, so (mit erhobenen Händen), bis sie uns aus
dem Spital rausführten in einen grossen Militärbus für Gefangene.
Sie brachten uns in die Kaserne. Wir hatten keine Ahnung, wohin wir fuhren,
sie sagten uns nichts. Sie schlossen die Storen an den Fenstern, so dass
wir nicht raussehen konnten. Wir wurden einfach aus der Stadt rausgefahren,
zu einem Gefängnis, oder einer Polizeiwache, aus der sie eine Kaserne
gemacht hatten. Dort gab es alle möglichen Polizisten, also nicht in
Uniformen, sie sahen fast aus wie Demonstrierende, Zivilpolizisten, Penitentiary
Police, Carabinieri, Polizia, alle möglichen Arten von Polizisten.
Und wir dachten: Oh Gott, was machen die bloss mit uns? Sie
brachten uns in eine Zelle, mit zehn anderen Leuten vom Spital. Kurz darauf
holten sie uns, um Fingerabdrücke und Fotos und all das zu machen.
Sie sagten uns nie, was die Anschuldigung war, oder wozu sie unsere Fingerabdrücke
und so wollten. Dann brachten sie uns in die Zelle zurück, die Frauen
und Männer wurden getrennt. Ich glaube, da waren 31 Frauen in unserer
Zelle und vielleicht 40 bis 50 Männer nebenan. Wir hörten nun,
was den anderen Frauen passiert war, die nicht ins Spital gegangen waren
und die direkt in die Kaserne gebracht worden waren. Einige waren in einer
anderen Kaserne, wo sie in eine Zelle gebracht wurden und in einen Raum,
wo die Reste von Haar, gebrochenem Glas, Flaschen und anderen solchen Dingen
am Boden lagen. Die Polizei schien diese Sachen absichtlich dort gelassen
zu haben, um zu demonstrieren, was mit anderen Leuten geschehen war, die
durch diesen Raum gingen... Sie hatten ihnen die Haare ausgerissen. Sie
sagten, da war ein ausgesprochen faschistischer Bulle, der in die Zelle
kam. Er sprach über die Nazis und darüber, wie er an den Faschismus
glaube. Er machte ein Hakenkreuz an die Wand. Zwei Männer mussten an
die Wand stehen, so dass sie nicht sehen konnten, was er machte. Und er
hatte einen grossen Metallstock, mit dem er auf den Bodeen schlug. Diese
Leute waren kurz zuvor geschlagen worden und glaubten, dass sie wieder geschlagen
würden. Er schlug sie nicht. Er terrorisierte sie psychologisch, indem
er diesen Stock in der Hand hielt und gegen alles schlug. Wir hörten
viele solche Geschichten. Nachts durften sie sich nicht auf den Boden legen
und ein bisschen ausruhen, sie mussten gegen die Wand stehen. Ein Junge,
als er ankam, wurde von den Bullen mit Pfefferspray abgesprayt, und dann
brachten sie ihn in die Dusche. Seine Kleider kriegte er nie zurück,
die ganze Nacht war er nackt in einer kalten Zelle.
Das war ein ziemlicher Schock. Das Ganze war ein Schock: zu hören,
was diesen Leuten passiert war... und wir hatten überlebt. Sie hatten
kein Essen oder Decken oder irgend so was, man sagte ihnen nicht, was mit
ihnen passieren würde.
Woher kammen all die Frauen in deiner Zelle?
Sie waren aus Deutschland, England, Amerika,
Australien, Österreich, der Schweiz, der Türkei, Spanien. Und
Italien.
Daniel, wie lange warst du im Spital?
Im Spital war ich für zwei Nächte
und drei Tage. Am späten Nachmittag des dritten Tags wurde n ich zusammen
mit zwei anderen in ein Fahrzeug geladen und während zwei Stunden herumgefahren,
wir hatten keine Ahnung, wohin sie uns bringen wollten. Wir dachten, dass
wir vielleicht an die Grenze deportiert würden, denn wir fuhren und
fuhren eine Ewigkeit. Es war die ganze Zeit kaum ein englisches Wort gesprochen
worden, so wusste ich überhaupt nicht, was los war.
Sie brachten uns ins Gefängnis. Niemand gab uns Informationen über
irgendwelche Anklagepunkte oder juristische Sachen. Wir sassen für
etwa zwei Stunden in einer Zelle. Schliesslich wurde ich zum Gefängnisarzt
gebracht, der aber keine medizinische Untersuchung machte, sondern einen
Report anfertigte über die Prellungen und die Naht am Kopf. Falls ich
weiter geschlagen würde, oder wenn mehr Verletzungen zum Vorschein
kämen, könnten sie dan vermutlich sagen, ich wäre in der
Dusche ausgerutscht und hingefallen.
Dann wurde ich in eine Einzelzelle gebracht. Die beiden Zellen links und
rechts von mir waren leer. Es war also immer eine Person in einer Einzelzelle,
dann eine leere Zelle, dann wieder eine Person, eine leere Zelle und so
weiter. Sie wollten nicht, dass wir miteinander kommunizierten. Auch wenn
sie und aus der Zelle nahmen, durften wir nicht durch die Türen sprechen,
nicht einmal klopfen. Wir bekamen fünf Minuten Hofgang am zweiten Tag
- ich war drei Tage lang da. Beim Hofgang waren wir alle von Polizeibeamten
umzingelt, niemand sprach wirklich, niemand wollte sich als "Anführer"
exponieren. So sprach ich während der ganzen drei Tage mit niemand,
ausser vielleicht in meiner Zelle mit mir selbst. Das Essen, das sie uns
gaben, hatte überhaupt keinen Nährwert. Wir hatten keine Zigaretten,
was für mich ein Problem war, da ich rauche. Kein Kontakt nach draussen.
Ich verlangte natürlich, mit einem Anwalt sprechen zu können.
Konntest du nicht mit einem Anwalt sprechen?
Nein. Am zweitletzten Tag brachten sie
uns hinunter und fragten nach den Namen unserer Anwälte. Ich wusste
den Vornamen des Anwalts nicht, den mir jemand vom Social Forum angegeben
hatte. So sagten sie, dass ich also keinen Anwalt haben könne. Aber
auch diejenigen, die Vornamen, Nachnamen und Telefonnummer ihres Anwalts
hatten, bekamen ich nicht. Du musstest auch alles korrekt buchstabieren
können. Ein Fehler, und du konntest nicht mit ihnen sprechen. Diejenigen,
die Anwälte gehabt hätten, durften nicht einmal am Telefon mit
ihnen sprechen, sie sahen sie erst vor dem Richter. Da waren auch Anwälte
da. Am Mittwoch, vor dem Haftprüfungstermin am Gericht, kam ein Vertreter
des Kanadischen Konsulats. Das war das erste Mal, dass ich irgendwelche
Informationen bekam.
Das war sechs Tage nach der Verhaftung?
Nein, vier Tage. Das ist am Mittwoch.
Das war das erste Mal, dass ich hörte, was passiert war, und auch eine
Zigarette bekam. Aber der Konsulatsvertreter wusste auch nicht viel, was
passiert war. Er war ein Konsular, der für Handelsangelegenheiten zuständig
war. Er war nicht gewohnt, mit politischen Gefangenen oder psychischen Traumata
umzugehen. Aber er sagte mir sofort, dass es Carol gut gehe, dass sie im
Gefängnis war. Also war alles, was er sonst noch sagte, nebensächlich
für mich.
Bis dann wusstest du nichts von Carol?
Ich wusste nichts von Carol. Das letzte,
was ich von ihr gesehen hatte, war, dass sie voll mit Blut war. Ich wusste
nicht, ob es mein Blut war oder ihr Blut. Als ich in der Gemeinschaftszelle
sass, hatte cih Gerüchte darüber gehört, was im Haftzentrum
geschehen war. Ich hatte gehört, dass den Frauen mit Vergewaltigung
gedroht worden war und dauernd erniedrigt wurden. Ich konnte nur in meiner
Zelle sitzen...
Wann erfuhrst du das?
Bei der Ankunft im Knast hatten sie
uns zuerst in eine gemeinsame Zelle gebracht, bevor wir in unsere Einzelzellen
gebracht wurden.
In diesen zwei Stunden warst du in einer Sammelzelle?
Ja, ein paar andere Leute, die im Haftzentrum
gewesen waren, waren auch in dieser Zelle und hatten dort schon vier Stunden
gewartet.
Sie erzählten dir das?
Ja, sie waren in diesem Haftzentrum
gewesen. Ich wusste nicht, dass es ein Haftzentrum gab. Ich wusste nicht,
ob einige Leute aus der Schule schon freigelassen worden waren; das wurde
mir in der Sammelzelle auch gesagt. Niemand wusste genau, was passierte.
Es war alles vom Hörensagen. Von da an weigerte ich mich, überhaupt
noch zuzuhören. Nicht, dass ich viel hörte. Aber ich begann mich
mental daruf vorzubereiten, dass ich vielleicht mindestens zwei Monate hier
bleiben müsste. Ich sagte mir, bereite dich darauf vor. Carol wird
es gut gehen und sie wird hoffentlich rauskommen. Ich bereitete mich einfach
darauf vor, hier während zwei Monaten alleine zu sitzen.
Aber am Mittwoch fand ich heraus, dass wir vor den Richter kämen. Ich
war der letzte, der gerufen wurde. So wusste ich die ganze Zeit nicht, ob
sie mich auch rufen würden oder nicht. Der Junge in der Zelle neben
mir sagte mir, dass sie ferig seinen mit der Verhandlung. Zwei Zellen weiter
sagte jemand, dass sie die Anhörungen für diesen Tag abgeschlossen
hätten. Weil es so lange gedauert hätte und der Richter müde
sei undsoweiter. . Als ich schliesslich gerufen wurde, liess ich den Jungen
in der Zelle nebenan alleine auf dem Boden zurück. Er musste für
weitere Vernehmungen bleiben. Als ich wegging, streckte ich meine Faust
in die Höhe, als Solidaritätszeichen für ihn, und wurde von
der Polizei niedergeschlagen. Wöhrend ich weggebracht wurde, hörte
ich ihn zusammenbrechen und weinen; er war jetzt allein.
Ich kam hinunter in den Gerichtssaal und es war irgendwie wieder dieselbe
Prozedur, vor dem Richter zu sitzen. "Nein, ich bin kein "Black
Block", ich war nie "Mitglied des Black Block", okay, blablabla.
Es gab auch keine englische Übersetzung . Der Richter konnte nur wenig
englisch, nur "You Black Block".
Schliesslich wurde uns mitgeteilt, dass wir freigelassen würde,. Wir
wurden wieder in eine Sammelzelle gebracht. Es waren ausser mir noch drei
Leute da. Wir sassen da für vielleicht zwei oder drei Stunden, cih
weiss nicht mehr genau wie lange.
Woher kamen diese Leute?
USA, Deutschland und Schweden.
Die ItalienerInnen wurden in der zweiten
oder dritten Nacht entlassen. Nicht alle, aber die meisten.
In meinem Gefängnis wurde niemand
aus Italienfestgehalten. Die Wärter weigerten sich, irgend eine andere
Sprache als Italienisch zu sprechen. Ich glaube, es gab nur eine Person
am andern Ende des Korridors, die ein bisschen Italienisch verstand. So
drang nie zu mir durch, was los war.
Nachdem wir beim Richter gewesen waren, frei gesprochen wurden und in einer
anderen Sammelzelle zwei oder drei Stunden gwartet hatten, wurden wir wieder
in eine andere Sammelzelle gebracht. Dort blieben wir eine weitere Stunde
und mussten durch die ganze Bürokratie gehen: Abnahme der Fingerabrücke,
Fotografien von unseren Gesichtern undsoweiter. Dann wurden wir in einen
grossen Polizeilastwagen verladen und in eine nahegelegen Stadt gefahren,
ich kann mich an den Namen nicht erinnern. Wir wurden zu der dortigen Polizeistation
gebracht und es wurde uns mitgeteilt, dass wir in Abschiebehaft seien. So
warteten wir für weitere Stunden und Stunden und Stunden; es war uns
nicht klar, wohin wir deportiert werden sollten. Einmal mehr hörte
ich ein Dutzend verschiedener Geschichten, was mit uns geschehen könnte.
Irgendwo mitten in der Nacht ausgestzt werden, an einer Grenze im Niemandsland,
direkt ins Flugzeug nach Kanada?
Ws kamen dann drei Leute vom Englischen Konsulat, der Konsul und zwei Mitarbeiterinnen,
und ein Anwalt, der, glaube ich, vom Genova Social Forum war. Ausser ihnen
waren etwa zwanzig Männer da, und dann nur Polizei. Der englische Konsul
sagte mir, eine Frau aus Kanada sei abgschoben und zurück nach Kanada
geflogen worden. So glaubte ich, dass wir getrennt, waren, dass Carol auf
dem Weg nach Kanada war.
Dachtest du, dass es Carol war?
Ja, niemand wusste von einer weiteren
Person aus Kanada. Doch sie hatte meinen Pass, ich hatte kein Geld, alles
was ich gehabt hatte, war von der Polizei gestohlen worden.
War das am Donnerstag?
Ja, das war am Donnerstag, am frühen
Morgen, um drei Uhr morgens.
Wo warst du, Carol, wöhrend der ganzen Zeit??
In der ersten Nacht und am Montag war
ich Spital, in der zweiten Nacht im Haftzentrum, wo die Männer und
die Frauen in verschiedene Zellen gebracht wurden. Das Schlimmste war für
mich der psychologische Terror der Wärter, dem wir ununterbrochen ausgesetzt
waren. Jeder Wärter sagte uns etwas anderes, zum Beispiel: "Okay,
die Männer gehen jetzt zur medizinischen Untersuchung und dann werden
sie freigelassen." Doch dann hörten wir die ganze Nacht durch
die Gänge Schreie und Hilferufe und Schläge. Sie liessen uns nicht
schlafen, sie kamen ständig hinein und riefen eine von uns auf, und
diese musste mit dem Wärter gehen, Sie sagten uns nicht, was sie mit
ihnen vorhatten, auch nicht, ob sie von jetzt an der Gruppe getrennt würden.
Während der ganzen Nacht war dieser konstante Terror, weil sie uns
etwas anderes sagten, asl das, was wirklich los war. Das Schlimmste war,
micht zu wissen, was mit uns geschehen würde und nicht zu wissen, was
mit den Jungen neben uns geschehen würde. Denn wir sahen sie jeweils
vorbeigehen, mit erhobenen Händen und hinuntergelassenen Hosen, und
mit frischen Bandagen. Die Wärter spielten damit. Es waren nicht gewühnliche
Gefängniswärter; es sah aus, als ob die ganzen verschiedenen Polizeiabteilungen
kommen würden, um uns zu töten. Die verschiedensten Polizisten
waren da. Sie kamen in unsere Zellen, lachten uns aus, zeigten auf uns und
sagten etwas auf Italienisch, sprachen über jede von uns. Ich bin froh,
dass ich kein Italienisch verstehe, denn ich würde nicht missen wollen,
was sie sagten. Sie schienen sich auch vor uns zu ekeln. Wir waren so hässlich
für sie: "Schau die an, die ist so dick, und schau die da an",
alles solche Sachen. Ich war aber eigentlich froh, dass sie sich vor uns
ekelten, denn es gab keine Drohungen von Vergewaltigung.
Aber das Schlimmste war, nicht zu wissen, was geschehen würde. Wir
waren die ganze Nacht zusammengekauert, wir hatten kalt, denn es war eine
Zelle mit offenem Fenster, es ware nur Gitter da und es wurde sehr kalt.
Es gab nur einen Marmorboden. Schliesslich brachten sie uns ein paar Leintücher,
und wir wickelten uns zusammen in die Leintücher. Dann begann ein Gerücht
zu kursieren: "Sie haben uns Leintücher gebracht, weil sie uns
foltern werden". Das war noch schlimmer, denn jedes Mädchen sagte
es dem andern weiter, das Gerücht begann zu laufen und Panik kam auf.
Manche sprachen viel mehr mit den Wärtern. Ich sagte mir, sie werden
uns anlügen. Ich wollte mich dem nicht aussetzen.
Die Nachtschicht - es gab eine neue Schicht für die Nacht - waren Gefängnispolizisten.
Sie hatten eine andere Uniform. Einer der Wärter sagte zu ihnen: "Es
gibt Dinge, die man in der Nacht tun kann und am Tag nicht". Das war
um etwa 1 Uhr morgens. Und sie hatten uns eben die Leintücher gegeben.
Da fing wieder die Panik an, was würden sie in der Nacht mit uns machen?
Sie kamen und riefen gewisse Namen auf, diese Frauen mussten mit ihnen gehen.
Als wir am nächsten Tag erwachten, waren zehn Frauen nicht mehr da.
Die ganze Nacht hatten wir Lärm gehört, wie Schläge. Der
Lärm war unglaublich, wir wussten nicht, woher dieses Knallen kam.
Und wir glaubten Schreie zu hören. Wir waren alle psychologisch terrorisiert.
Besimmt war auch viel Surrealismus dabei.
Ich war glücklicherweise nicht eine von denjenigen, die in der Nacht
gerufen worden waren. Am nächsten Morgen riefen sie uns alle zu einer
medizinischen Untersuchung. Wir wurden in verschiedene Zellen verteilt.
Sie schrieben einen Rapport über unsere Verlertzungen, und sie wollten,
dass wir Papiere unterschrieben, die wir nicht verstanden. Ich weigerte
mich zu unterschreiben, denn es war in italienisch, ich verstand es nicht.
Ich wollte nicht, dass irgend etwas gegen mich verwendet werden könnte.
Diese Bürokratie war...alle mussten da rein und all diese Dinge über
sich ergehen lassen...und während der medizinischen Untersuchung schnitten
die manchen Frauen die Haare ab, die Polizei schnitt die Haare ab. Besonders
wenn sie Dread Locks oder so etwas hatten. Sie nahmen allen Schmuck weg.
Weil wir kein Metall auf uns haben durften. Sie nahmen einigen Frauen die
Brille weg, weil sie Metallgestelle hatte, und die Frauen konnten fast nichts
mehr sehen. Sie verweigerten denen , die danach fragten, die Medikamente.
Schliesslich hatten alle diese Bürokratie und den Terror der medizinischen
Untersuchung hinter sich. Es gab auch weibliche Wärter, doch die waren
fast schlimmer als die männlichen...sie spotteten über uns, schauten
uns von obern bis unten an und stiessen uns vorwärts, wenn wir auf
die Toilette wollten. Du wusstest nie, welche Wärterin du bekommen
würdest, wenn du auf die Toilette musstest. Aber zum Glück waren
wi alle zusammen, wenigstens die zwanzig von uns, die nicht in der Nacht
hinausgenommen worden waren, und wir waren alle zusammen in einer Zelle.
Wir wurden in Handschellen gelegt und in ein anderes Gefängnis gebracht.
This was Monday?
Ja, Montag, ungefähr mittags, glaube
ich. Wir wurden zu einem anderen Gefängnis gebracht, ich glaube es
war etwa eine oder eineinhalb Stunden von dem ersten entfernt. Wir wussten
nicht, was passieren würde, wir dachten, dass wir jetzt alle getrennt
würden. Wir hatten keine Ahnung, was mit uns passieren würde.
Niemand sagte uns je etwas. Sie sagten: "Oh, morgen werdet ihr freigelassen".
Oder: "Ihr werdet frei gelassen, wenn ihr das und das macht; wenn ihr
das und das unterschreibt". Es war eine Lüge nach der anderen.
So wurden wir zu dem anderen Gefängnis gebracht und ich realisierte,
dass die Gefängnispolizei vom vorigen Gefängnis und die andere
Polizei, die dabei war, in diesem neuen Gefängnis nicht die gleichen
Rechte hatten. Denn sie mussten ihre Pistolen und die Handschellen und alles
im Wagen lassen. So dachten wir, okay, hier muss es besser werden. Sie haben
keine Kontrolle mehr über uns. Jemand anderes wird hoffentlich besser
sein.
Wir wurden alle in eine ammelzelle gebracht. Und es waren sieben weitere
Mädchen in der Zelle. Die waren nicht in der Schule verhaftet worden,
sondern waren von der Theaterkarawane. Sie waren auf der Rückreise
angehalten und verhaftet worden. Wir hörten ihre Geschichte, wir hörten,
was passiert war, und das die Leute gehört hatten, was in der Schule
passiert war. Das war eine grosse Erleichterung, dass es Beweise und Zeugen
gab, dass die Leute wussten, was uns passiert war und dass sie wussten,
dass wir im Spital waren und irgendwo im Gefängnis waren.
So waren wir in dieser Geneinschaftszelle zusammen, und eine nach der anderen
wurde hinausgelassen und zu einer medizinischen Untersuchung gebracht. Ich
war eine der letzten...doch es war eine Erleichterung, dort zu sein, denn
unsere Wärterinnen waren jetzt alles Frauen, und sie hatten keine Pistolen,
sie hatten keine militaristische Kleidung, sie waren einfach Gefängniswärterinnen.
Wir wussten nicht so recht, wie wir uns ihnen gegenüber verhalten sollten,
aber...Wenn wir uns auszogen und unsere Verletzungen zeigten, waren sie
richtig empört, es war merkwürdig, es war wirklich merkwürdig.
Sie hatten viel Mitgefühl. Sie wusste, und sie sagten das auch immer
wieder: wir wissen, dass ihr keine Terroristinnen seid, dass ihr nichts
verbrochen habt. Es war erstaunlich. Es war merkwürdig. Ich weiss nicht,
woher diese Frauen kamen, aber es war eine ziemliche Erleichterung.
So blieben wir für zwei Nächte in diesem Gefängnis, und wir
wurden ziemlich gut behandelt, überraschen gut, was unser physisches
Wohlbefinden betraf. Aber was irgend welche juristsichen Rechte betrifft,
so hatten wir gar keine. Wir konnten keinen Anwalt kontaktieren, und wir
konnten keine Telefongespräche haben. Wir konnten ein Telegramm schreiben,
sie sagten uns, wir bräuchten kein Geld dafür (sie hatten uns
das Geld weggenommen). Und noch ein zweited Telegramm wurde geschickt, glaube
ich. Sie sagten uns nie, wann wir freigelassen würden.
Sie sagten uns gar nichts.
Doch glücklicherweise hatten wir einen Fernseher in unserer Zelle,
so konnten wir die Nachrichten sehen. Ich glaube, die Frauen in diesem Gefängnis
wurden viel besser behandelt als die Mäner, es war offensichtlich.
Wir hatten zweimal am Tag mit ihnen zusammen Hofgang. Und wir sprachen immer
wieder über das, was passiert war, wir versuchten irgendwie eine Art
Sitzung zu machen und herauszufinden, was wir tun sollten. Wir entschieden,
dass wir versuchen würden, vor Gericht nichts zu sagen, denn wir ware
alle gemeinsam angeklagt, und so konnte alles, was eine einzelne sagte,
gegen die anderen verwendet werden. So entschieden wir, nichts zu sagen,
wenn sie uns zum Besispiel fragten, wo wir waren, ob wir in der Schule waren
oder was wir tun oder ob wir einer Organisation angehörten. Wir hatten
Glück, dass wir zusammen sprechen konnten.
Am Mittwoch konnte mich der kanadische Konsul besuchen. Er sagte, er hätte
mich drei oder vier Tage lang nicht besuchen können, was absolut illegal
sei. Und er sagte, er habe keine Ahnung, was passierte, er habe das Gefühl,
das sei nur eine Rechtfertigung für die ganze Polizeiaufrüstung,
für die Militarisierung von Genua, und für den Angriff der Polizei
in der Schule. Und dass wir nicht das Recht hätten, mit jemand Kontakt
aufzunehmen.
Der Konsul kam am Mittwoch?
Ja, am Mittwoch morgen. Am selben Morgen
hatten wir eine Erstverhandlung vor dem Gericht oder so etwas. Es war ein
Richter da. Wir hatten Glück, dass wir alle die gleiche Anwältin
verlangt hatten. Wir wussten ihren Namen, eine von uns wusste ihren Namen
und Vornamen und Telefonnummer. So verlangten wir alle diese Anwältin.
Sie war also da, aber wir hatten keine Gelegenheit gehabt, mit ihr vorher
zu sprechen. Es war also einfach so: hier war der Richter und hier die Anwältin,
der Richter stellte Fragen. So haben einige Leute schliesslich en üpaar
Fragen des Richters beantwortet, sie wurden ziemlich stark unter Druck gesetzt,
zu antworten, und andere - wir hatten zwei verschieden Richter - konnten
einfach sagen: "Ich will mich nicht äussern, wir sind psychologisch
jetzt nicht in der Lage, zu sprechen. Wir wurden über nichts aufgeklärt,
uns wurde nichts gesagt, also wollen wir nichts sagen."
Später am Nachmittag bekamen wir die Resultate. Wir wurden alle einzeln
zum Richter gebracht. Einigen wurde gesgt, dass sie freigelassen würden.
Doch als ich zum Richter kam, wurde gesagt, ich wäre noch unter Anklage,
aber ich könne gehen. Dass es im November eine Verhandlung geben würde
oder so. Aber es war nichts klar...wir wissen nicht, wie es weiter geht.
Wir wurden immer noch angelogen, denn es wurde uns gesagt, wir könnten
gehen, nachdem alle durch die Bürokratie gegangen wären und unterschrieben
hätten. Und sie sagten: "Oh, es gibt einen Polizeibus draussen,
ihr könnt ihn nehmen wenn ihr wollt": Aber wir wurden gezwungen,
in den Polizeibus zu steigen und wurden zu einer Plizeistation gebracht.
Alle dachten, dass wir freigelassen würde, aber ich dachte, dass sie
uns nicht zu einer Polizeistation sondern nach Österreich bringen würden,
oder nach Frankreich oder so. Doch wir wurden zu dieser Polizeistation gebracht
und sie sagten uns, wir würden ausgeschafft. Ich dachte, ich würde
Daniel nie wiedersehen.
Daniel, wurdest du zu der gleichen Polizeistation gebracht wie Carol?
Ja, ich hatte dort schon lange gesessen
und gewartet, wie ich schon sagte, etwa vier Stunden lang, und ich hatte
gehört, dass sie abgeschoben worden sei, oder jedenfalls jemand von
Canada, aber ich war immer noch nicht sicher, ich wusste, dass irgenwann
ein Lastwagen mit Frauen ankommen sollte. Ich war sehr nervös und hatte
ein Vorahnung, dass es vielleicht eine sehr unwahrscheinliche Möglichkeit
geben könnte, dass sie dabei war. Dann hörte ich Bewegung im anderen
Raum. Wir durften nicht aus den Fenstern sehen oder so etwas, so wussten
wir nicht, ob der Lastwagen mit den Frauen angekommen war oder nicht, und
ich sass da und sprach mit jemandem - und um die Ecke, aus dem nirgendwo
- kam plötzlich Carol angerannt! Sie war durch die Polizeikette gebrochen.
Und ich starrte sie nur an als sie mich sah, währscheinlich überraschter
als ich selbst, und sie stürzte sich einfach auf mich und wir hielten
uns und sie küsste mich, und die Polizei kam und versuchte uns zu trennen,
alle fauchten die Polizisten an, uns sie hielt sich einfach an mir fest
und hielt mich ganz fest.
Sie zogen mich an den Armen weg, aber
ich liess nicht los.
Schliesslich zogen sie sie weg, und
ich musste für eine weitere Stunde dasitzen, bis sie wieder zurückkam
- sie war erneut ausgebrochen... und kam zurück.
Diese Stunde war "easy time" - im Wissen, dass sie nur im nächsten
Raum war.
Dann kam die Abschiebung, sie luden uns alle wieder ein, die Männer
und die Frauen. Es gabe verschieden Busse, ich weiss nicht, wo die anderen
hingebracht wurde, ob sie einfach an die Grenze gestellt wurden oder was...
Ich glaube, die Deutschen wurden in einem
Bus nach Österreich gebraacht, aber die meisten anderen Leute, Leute
von England, Schweden, Spanien, Kanada, wir wurden alle zum Flughafen in
Mailand gebracht.
Wir wurden einfach am Flughafen hinausgelassen.
Wir dachten, sie würden uns vielleicht
gleich in einFlugzeug setzen und dachte: ok Gratis-Heimflug, klar, warum
nicht...
Sie stellten uns da ab und wir hatten
absolut nichts dabei.
Es waren etwa sechs Polizisten da, nur
eifache Poliziste niedrigen Rangs, sie fuhren uns einfach da hin und liessen
uns raus, dann fuhren sie wieder ab.
Das war Freiheit.
Dann gingt ihr zum Bahnhof?
Nein, es war etwa sechs Uhr morgens,
am Donnerstag morgen. Es war dann jemand da aus Mailand, ein Vertreter desGenova
Social Forum in Milano, der in einem Centro Sociale in Milano arbeitete,
und sie nahmen uns, Carol, mich und zwei Amerikaner, mit zu diesem Zentrum.
Alle anderen hatten sich so schnell wie möglich auf die Heimreise gemacht,
wie auch immer, mit Bus oder Zug. Und sie nahmen uns mit zu diesem Centro
Sociale, wo wir einige Stunden schliefen, duschten, etwas Ordnung in unsere
Köpfe brachten, ausserhalb einer Zelle.
Am nächsten Tag waren sie überwältigent lieb zu uns, sie
gaben uns zu essen, brachten uns Kleider, wir gingen zum Kanadischen Konsulat,
konnten das Telefon benützen. Wir wussten, dass wir das Land an diesem
Tag verlassten musten, das heisst, wir wussten es nicht wirklich; sie hatten
uns gesagt wir hätten 24 Stunden, oder zwei oder drei Tage, oder zwei
oder drei Wochen, um das Land zu verlassen, wir wussten es nicht, so sagten
wir uns: Gut, wir nehmen an, es sind 24 Stunden und gehen raus aus Italien,
auf welche Weise auch immer.
War das Centro Sociale in Milano das Leoncavallo, wo ihr hingingt?
Ja, es war ein Centro Sociale, Ponto
Rosso war der Name der Organisation. Sie waren wirklich gut zu uns. Und
von da bekamen wir ein Zugticket nach hier, nach Bern. Ich wusste nicht,
dass Schweden und die Schweiz zwei verschiedene Länder sind, ich wusste
nicht wo Bern war. Nach Bern sollten unsere Flugtickets nach Kanada geschickt
worden sein, ins kanadische Konsulat. (Wir können sie am Montag abholen.)
So gingen wir da hin, benützten wieder das Telefon. Der einzige Rat,
den sie uns gaben, war, in eine Jugendherberge zu gehen, und wir gingen
da sofort hin. Ich wuste glecih, dass wir da nicht bleiben würden,
und wir fanden heraus, dass eine Nacht für beide zusammen 60 Franken
oder so etwas lächerliches gekostet hätte, und so machte ich ein
Schild mit dem Text: "Von Genua ausgeschafft - Brauchen einen Schlafplatz
- Polizei hat alles gestohlen..." und wir liefen einfach mit dem Schild
herum...
In der Stadt?
Ja. Und dann sprach ich mit jemandem,
und der sahte mir, wo das Social Centre war, die Reitchule, und wir gingen
da hin, und die letzten Tage waren grossartig, die Leute waren wieder aussergewöhnlich
lieb zu uns, fast überwältigend nett. Wir konnten da schlafen
und essen, und sie haben unsere Nerven beruhigt und gaben uns wieder ein
Gemeinschaftsgefühl. Warum wir nach Genua gingen, war genau deshalb,
um mit Leuten wie diesem zusammen zu sein, und mit ihnen zusammen zu kämpfen,
damit wir leben können wie sie hier leben, und unser Rücken war
in dieser Sphäre, und das ist grossartig.
Würdet ihr je wieder an so eine Demonstration gehen?
Ja, .auf jeden Fall.
Oh, ja. Jetzt umso mehr...
Ich war nie sehr begeistert vo Massendemonstrationen.
Ich will jetzt nicht über Logistik und Strategien sprechen, aber ich
glaube nicht, dass Massendemonstrationen weniger erreichen können als
basisdemoktratische (grassroot) soziale Organisationenn, deren Wirkung für
die Leute, da wo sie leben, viel direkter ist. Doch ich denke, ich habe
jetzt viel mehr Hass auf die Polizei und Hass auf das etablierte System,
den ich sublimieren muss, und ich denke , der beste Ort, um diesen Hass
zu sublimieren, ist eine grosse Demonstration. Wen also ihre Strategie oder
Ziel war, uns zu befrieden, dann haben sie genau die gegenteilige Wirkung
erreicht.
Ich denke, dass die Massendemonstrationen,
wie sie im Moment im Kommen sind, stark auf Aktivismus fokussieren. Das
sollte aber nicht der Fokus sein, sondern es sollte mehr davon rüberkommen,
dass wir jetzt alle zusammenkommen, und dass uns dies neuen Power gibt und
uns darin bestärkt, für was wir kämpfen. Der fokus sollte
darauf gerichtet sein, woher wir kommen und was wir an den Orten tun, an
denen wir leben, wie dieser Ort in Bern.
(...)
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