navigation=3
 
empty
  Dem Berner «Verein für angewandte Geometrie» ist eine Ausstellung
gelungen, die die Ereignisse während des G8-Gipfels letzten Jahres in
Genua reflektiert und uns den zentralen Frage näher bringt.ike.

  Was hat uns Genua zu sagen
  link

Beklemmung. Das erste Gefühl, das mich befällt beim Betreten der grossen Halle in der Reitschule, wo noch bis zum 5. Oktober die Ausstellung «Le Geometrie della Memoria ˆ Nachdenken über den G8-Gipfel in Genua» zu sehen ist. Dem Auge bietet sich ein mit Genua-Fotos übersähter Asphaltboden dar, aus dem scheinbar willkürlich im Raum stehende Installationen sich erheben. Das Ohr betäubt ein monotones Brummen, das die Erinnerung an die ständig über den Köpfen kreisenden Helikopter hervorruft, im Hintergrund panikerfüllte Rufe einer Videojournalistin,
die vor der randalierenden Genueser Polizei flüchtet, heulende Polizeisirenen. Auch ohne Tränengasschwaden, auf dem Boden verstreute Tränengaspetarden und Glassplitter ist die Inszenierung perfekt: Hier leben jene denkwürdigen Tage im Juli 2001 auf, die für manche Globalisierungsgegnerin ein jäher Einschnitt in das bis anhin mehr oder weniger fröhliche Gipfelhüpfen bedeuteten.

Doch die Fragen, die aufgeworfen werden, gehen über den Moment in der Geschichte hinaus, obwohl durch die so geschaffene Ambiance durchaus die Gefahr besteht, «Genua» zum Fetisch zu machen, sich vom Grauen faszinieren zu lassen, wie von einem guten Horrorfilm. So abstrahiert etwa die Installation «Kontrollfelder» die brutale Repression und macht sie in ihrer Alltäglichkeit spürbar. Sie assoziiert den Menschen als stummen Fisch, der in seinem Aquarium unbewusst hin und her schwimmt, überwacht von fünf Kameras, dem Auge der Betrachterin, das durch ein Guckloch einen Blick hineinwerfen kann, schutzlos ausgeliefert, während sich das monotone Transformatorengeräusch mit der Zeit der Wahrnehmung entzieht und so die Abstumpfung erlebbar macht. «Die Kontrollfelder sind insbesondere in den entwickelten‚ Gesellschaften in den verschiedensten Bereichen des Lebens, wie Erziehung, Gesundheit, Schule usw.
omnipräsent», schreiben die AusstellungsmacherInnen. «Der Fisch im Aquarium nimmt dies nicht wahr.»

Eine weitere Installation zeigt das pulsierende Bild Carlo Giulianis, wie es sich nach seiner Ermordung im Kopf des Künstlers Pino Scuro festgesetzt hat, eine andere eine klassizistische Atlas-Figur, die das Tor zum «Giardino del Popolo» stützt, wie sie in Genua an einem bürgerlichen Haus zu sehen ist. Letztere wird kontrastiert von einem Berg aus Teer um einen beschädigten Bankautomaten, wie sie während dem G8-Gipfel in den Trümmern ausgebrannter Bankhallen zu sehen waren. Damit sollen die Widersprüche innerhalb der bürgerlichen Gesellschaft dargestellt werden - «Kohle und Petrolium waren die Energieführer der industriellen Revolution» - wohl aber auch ein Rückgriff des Anarchisten Scuro auf den historischen Materialismus.

Die komplexeste Installation findet sich in der linken oberen Ecke der Halle, «Das Kaleidoskop der Demokratie», das sich mit Geschichtsschreibung und politischer Wahrnehmung auseinandersetzt.
Schematisch dort gelegen, wo in Genua die «Piazza Rosetti» wäre, hat dieses für den Künstler persönlich die grösste Bedeutung. Die für den politischen Werdegang des aus Genua stammenden Scuro zentralen Momente ereigneten sich just dort, wo am 21. Juli 2001 die Polizei wie aus heiterem Himmel die Massendemonstration zu attackieren begann.
Vielleicht ermöglicht diese Installation deshalb die intensivste und fruchtbarste Auseinandersetzung. Die zwei Videobeamer in grossen runden Tanks mit fahrbarem Gestell, projizieren unter anderem historische Dokumentarfilme entlang zweier Stahlträger auf einen rotierenden Spiegelzylinder, der gleichsam das Scharnier dieser riesigen Eisenarme darstellt. Durch die Drehbewegung der Projektionsfläche wird das Bild zu Farbstreifen verzerrt. Darüber ragen zwei konkave Flügel auf, die eine gekrümmte, aber dennoch viel schärfere Projektion ermöglichen. Die Wahrnehmung, die Geschichtsschreibung als das «Scharnier» der Demokratie, welche durch die verschiebbaren Stahlträgerarme symbolisiert wird? Das Wasser, das von den Stahlträgern rinnt, als kümmerliche Rinnsale des Lebendigen, das nicht Bestandteil der Demokratie ist, sondern von dieser geformt, verstümmelt wird? Wie steht es mit «Genua»?

Wird es von der Walze der «Demokratie», dem «unheimlichen Fresser», wie im Ausstellungsführer steht, bis zur Unkenntlichkeit verzerrt? Oder gelingt es der Linken, ein - wenn auch gekrümmtes - Bild jener Tage zu erhalten, oder überhaupt zu schaffen? Was hat uns Genua zu sagen?

----------------

Hinweis:
Die Ausstellung ist noch bis und mit Samstag 5. Oktober täglich von 10 bis 22 Uhr in der Berner Reithalle zu sehen.

linkFinissage.txt

link



empty empty empty empty empty
texte bilder toene filme downloads